Stolpersteine – über die Vergangenheit stolpern
Am Montag, 06.11.2017, fand in meinem Wohnort Malberg vor dem Haus meiner Nachbarin die Verlegung von drei Stolpersteinen statt.
Für dieses Projekt hat der Arbeitskreis „Stolpersteine Kyllburg und Malberg“ lange gekämpft.
In Malberg gibt es immer noch viele Dinge, die in der Vergangenheit liegen, über die man nicht wirklich offen redet, da die Namen der damaligen Täter eben immer noch in zweiter und dritter Generation an den Klingeln der Häuser stehen.
Die Aufarbeitung der Geschichte und Geschichten von damals interessiert mich sehr, da auch meine Familie mütterlicherseits scheinbar superstramm nationalsozialistischer Gesinnung war. Vielleicht geschah dies nur aus praktischer Erwägung, da meine verwitwete Oma irgendwie ihre drei Kleinkinder durchbringen musste und das ging eben besser, wenn man in der Partei war. Mein älterer Onkel war jedoch auf einer Napola, das war eine nationalsozialistische Eliteschulart im Dritten Reich. Mit dem Ende des Dritten Reiches brach das Weltbild meiner Mutter zunächst zusammen. Zum Teil bin ich daher in diesem ungeklärten Dunst aufgewachsen wie vermutlich viele Menschen meiner Generation.
Darum interessiere ich mich sehr für die Aufarbeitung der Geschichte von Familie Nussbaum aus der Schloßstraße 43, einer jüdischen Metzgersfamilie aus Butzweiler, die sich kurz vor 1900 herum in Malberg ansiedelten, sich dort mehr oder weniger integrierten. Mit den zehn anderen jüdischen Familien, die in der Nähe wohnten, errichteten sie in Kyllburg eine Synagoge und in Malberg einen jüdischen Friedhof. Aus dem Jahr 1893 stammt der Eintrag in das hiesige Gewerberegister. Hermann Nussbaum war ein vielseitiger Geschäftsmann, der hauptsächlich im Textil- und Viehhandel tätig war. Eine Zeitlang betrieb er auch eine Metzgerei und Fleischhandlung. 1898 heiratete er Helena Michel aus Niedaltdorf in der Nähe von Merzig. Das junge Paar kaufte ein Haus in Kyllburg, meinem Nachbarort. Wenig bekannt ist über das Schicksal der drei unverheirateten Geschwister von Hermann Nussbaum, die in der Malberger Schloßstraße 43, also dem Haus neben dem Unsrigen, wohnten und die ebenfalls alle drei in Butzweiler geboren sind: Adelheid Nussbaum, geboren am 23. März 1868, Johanna Nussbaum, geboren am 15. Februar 1884 und Simon Nussbaum, geboren am 13. Februar 1887.
Die vier Stolpersteine in Kyllburg, ganz rechts Rebecka Nussbaum, die Urgroßmutter von Lisa Watson, die 1938 nach New York emigrieren konnte
Simon Nussbaum betrieb zusammen mit seinen beiden Schwestern eine Metzgerei. Das letzte Lebenszeichen von ihm ist ein nüchterner Eintrag im Melderegister von Kyllburg. Verzogen nach „unbekannt” heißt es dort unter dem Datum 23.04.1942.
Ein damaliger Zeitzeuge, Jakob L., erzählte mir, dass sie als Kinder immer den folgenden Spottvers sangen:
„Der Jude Sim
fährt nach Prim (platt für Prüm)
mit seiner Wurstmaschin.”
Als ich wiederum meiner Mutter, Jahrgang 34, davon erzählte, fiel auch ihr direkt ein Spottlied ein:
„Der Jude Itzig,
Nase spitzig,
Gesicht eckig,
Arschloch dreckig.”
In Wirklichkeit verzog Simon Nussbaum nicht „unbekannt”, er wurde per Zug von Trier nach Izbica, einem Ghetto im besetzten Polen, deportiert. Es ist nicht bekannt, wie viele der 441 Juden dieses Transportes in das Ghetto eingewiesen wurden und wie viele unmittelbar in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor weiter transportiert worden sind. Sicher ist nur, dass kein einziger Mensch dieses Transports überlebt hat.
Die Schwestern Adelheid und Johanna Nussbaum wurden zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin am 25. Juli 1942 nach Trier und von dort nach Theresienstadt deportiert. Adelheid Nussbaum überstand die strapaziöse 30stündige Fahrt nicht. Sie starb wenige Tage nach ihrer Ankunft im Ghetto am 2. August 1942. „Altersschwäche” und „Herzschwäche” heißt es zur Krankheit und Todesursache in der vorgefertigten Todesfallanzeige, die im Archiv von Theresienstadt erhalten geblieben ist.
Am 26. September 1942 wurde Johanna Nussbaum mit dem Transport BR von Theresienstadt nach Treblinka deportiert. Ihr Name auf der Transportliste ist das letzte Lebenszeichen von ihr. Vermutlich wurde auch sie unmittelbar nach der Ankunft im Vernichtungslager ermordet.
Manche in meinem Dorf mögen sich ihrer Väter und Großväter schämen, die am 09.11.1938 in der Pogromnacht die Synagoge abfackelten, den Friedhof schändeten und auch in der heutigen Schloßstraße 43 alle Fensterscheiben einwarfen und dort furchtbar wüteten. Es reden aber nur die Menschen, die mit diesen menschenverachtenden Aktionen nichts zu tun hatten.
Ein Zeitzeuge, Hubert W., Jahrgang 1928, berichtet:
„Ich war damals noch keine zehn Jahre alt und spielte mit meinem Freund am Fluss, als wir Gepolter und Weinen aus […] dem Judenhaus hörten. Wir liefen hin und sahen, wie ein Männertrupp es plünderte. Bilder und Haushaltswaren flogen aus dem Fenster.” Weiter erklärt er: „Damals hieß es, die Juden würden in Sammellager gebracht. Zunächst kamen die Nussbaums aber in den Keller des Hopfenhauses, wo Nachbarn sie abends mit Essen und Trinken versorgt haben. Dann waren sie weg. Ich frage mich bis heute: Wo waren sie bis 1942? Keiner hat je darüber gesprochen.”
Nach langer Vorarbeit des Arbeitskreises Stolpersteine, initiiert von Herrn Toni Nemes, gab es einen knapp mehrheitlichen Beschluss im Gemeinderat, die Verlegung der Stolpersteine zu genehmigen. Lisa Watson, eine Urenkelin von Sara und Hermann Nussbaum aus New Jersey, zu der Toni Nemes im letzten Jahr Kontakt herstellen konnte, reiste an, um der Verlegung beizuwohnen. Sie legte Rosen nieder und hielt eine kleine Ansprache. Anschließend sprach sie das jüdische Totengebet, einen „Kaddisch”. Musikalisch durfte ich die Feierstunde auf der Klarinette begleiten. Die Veranstaltung wurde filmisch dokumentiert für das Holocaust-Museum in Washington. Hier findet ihr ein Video, das die Verlegung am 06.11.2017 dokumentiert.
So, nach langer Rede, versteht es gerne als Überzeugungsarbeit, da mir das Projekt so am Herzen liegt: Initiiert ähnliche Projekte bei euch in euren Heimatdörfern, auch in Prüm liegen (noch) keine Stolpersteine. Sprecht Leute an, eure Großeltern, ältere Dorfbewohner, ihr werdet euch wundern, wie viele von ihnen aus dieser Zeit zu erzählen haben und dies auch gerne tun. Eure Geschichtslehrerinnen und ‑lehrer unterstützen euch gerne dabei!
Ich bin immer nämlich immer wieder aufs Neue sprachlos, wenn ich auf unserem Schulhof Sprüche und Beschimpfungen von unseren Schülerinnen und Schülern wie „du dreckiger Jude!” höre.
Text: Catrin Stecker
Fotos: Catrin Stecker und via Toni Nemes der Arbeitskreis „Stolpersteine Kyllburg und Malberg“
Liebe Frau Stecker vallah ich schwör sie sind voll krass korrekt ehhhh #hollister
ich hasse gladbach über alles lange lebe KÖLN<3
Sehr interessanter Artikel! Toll, dass der Igel auch solch ernste Themen unserer Vergangenheit, die immer noch große Bedeutung für unsere heutige Gesellschaft haben, aufgreift! Weiter so!