Was passiert eigentlich, wenn man eine Spraydose ins Feuer wirft?

Kom­mu­ni­ons­fo­to von Herrn Lau­xen (70erJahre) – ein Bespiel für „Was pas­siert eigent­lich, wenn man eine Spray­do­se ins Feu­er wirft?”

Sol­che und ähn­li­che Fra­gen wer­den im Che­mie­un­ter­richt oft im Zusam­men­hang mit dem fol­gen­den Gefah­ren­sym­bol „Hoch­ent­zünd­lich” auf Spray­do­sen gestellt:

Dabei kann ich die Neu­gier mei­ner Schü­ler sehr gut nach­voll­zie­hen, denn die Ant­wort auf die­se Fra­ge inter­es­sier­te mich bereits im zar­ten Alter von 8 Jah­ren und da ich in die­sem Alter schon im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes „ein­schlä­gi­ge” Erfah­run­gen mit diver­sen Chi­na­böl­lern, Lady­kra­chern, Kano­nen­schlä­gen u. ä. explo­si­ven Gegen­stän­den gesam­melt hat­te, war es nur eine Fra­ge der Zeit, bis die­ses Expe­ri­ment von mir durch­ge­führt wer­den sollte.

Herr Lau­xen 1974 – „Was pas­siert eigent­lich, wenn man eine Spray­do­se ins Feu­er wirft?” BEZIEHUNGSWEISE „Woher hat unser Che­mie­leh­rer Herr Lau­xen sei­ne Nar­be im Gesicht?”

An einem Früh­lings­nach­mit­tag des Jah­res 1973 tra­fen sich wie fast jeden Tag 5 bis 10 Kin­der im Koblen­zer Stadt­teil Neu­en­dorf um zu spie­len, zu rau­fen und ihrer Krea­ti­vi­tät frei­en Lauf zu lassen.

Wenn man zu die­ser Zeit nach­mit­tags vor die Türe ging, traf man ohne jeg­li­che Ver­ab­re­dung und Orga­ni­sa­ti­on immer auf eine gro­ße Zahl von gleich­ge­sinn­ten Kin­dern und Jugend­li­chen, die um die Häu­ser zogen.

Das lag nicht nur an der feh­len­den Unter­hal­tungs­elek­tro­nik, den beeng­ten Wohn­ver­hält­nis­sen oder den vie­len noch nicht zuge­bau­ten Frei­flä­chen in der Stadt, son­dern vor allem an der hohen Zahl von real exis­tie­ren­den Kin­dern und Jugend­li­chen. Wir waren nicht nur vie­le Kin­der, son­dern sehr vie­le Kin­der, denn wir gehör­ten und gehö­ren heu­te noch zu den „Baby­boo­mern“ der 1960er Jah­re. Was danach an Kin­dern in Deutsch­land gebo­ren wur­de, konn­te man zah­len­tech­nisch gegen­über den 1960er Jahr­gän­gen ver­ges­sen und des­halb ist die deut­sche Bevöl­ke­rungs­py­ra­mi­de mitt­ler­wei­le kei­ne Pyra­mi­de mehr, son­dern ein Tan­nen­baum. Aber das nur am Rande.

Auf jeden Fall war eine unse­rer Lieb­lings­be­schäf­ti­gun­gen „Feu­er­chen machen”. Der Umgang mit Feu­er jeg­li­cher Art gehör­te für die Kin­der die­ser Zeit zur täg­li­chen Routine.

So haben wir auch an die­sem Nach­mit­tag unser obli­ga­to­ri­sches Lager­feu­er in einem nahe­ge­le­ge­nen Wäld­chen ent­zün­det und waren stän­dig auf der Suche nach geeig­ne­tem Brenn­ma­te­ri­al. Irgend­wann kam jemand auf die glor­rei­che Idee, die nahe­ge­le­ge­nen Müll­ton­nen einer Wohn­sied­lung nach Brenn­ba­rem zu durch­su­chen. Kur­ze Zeit spä­ter wur­den wir dann fün­dig. Irgend­je­mand hat­te eine unge­fähr halb­vol­le Haar­spray­do­se aus einer Müll­ton­ne gefischt und prä­sen­tier­te uns stolz den ver­meint­li­chen Brenn­stoff, wobei uns völ­lig klar war, dass es sich hier­bei um mehr, als einen gewöhn­li­chen Brenn­stoff wie Holz oder Pap­pe han­deln wür­de. Aus den war­nen­den Erzäh­lun­gen unse­rer Eltern wuss­ten wir, dass Spray­do­sen und Feu­er eine hoch­ex­plo­si­ve Kom­bi­na­ti­on sind.

Soweit die graue Theo­rie, die aller­dings den Pra­xis­test nicht erset­zen soll­te. Also wur­de die Haar­spray­do­se mit dem Warn­hin­weis „Ach­tung, gleich knallt es” ins Feu­er gewor­fen. Wäh­rend die meis­ten Kin­der respekt­voll das Wei­te such­ten, um das spek­ta­ku­lä­re Ereig­nis aus siche­rer Ent­fer­nung zu beob­ach­ten, ver­steck­te ich mich in unmit­tel­ba­rer Nähe des Feu­ers hin­ter dem dicken Baum­stamm eines Laubbaumes.

Mei­ner unend­li­chen Neu­gier auf das, was da wohl gleich pas­sie­ren wür­de, konn­te ich aller­dings nicht wider­ste­hen und so schau­te ich mit mei­ner rech­ten Gesichts­hälf­te hin­ter dem Baum her­vor, damit mein Logen­platz auch sei­nen Zweck erfül­len konnte.

Nach weni­ger als einer Minu­te gab es tat­säch­lich einen dump­fen Knall und ich dach­te noch: „Was, das war schon alles? Wie lang­wei­lig ist das denn?” Doch dann bemerk­te ich, wie sich ein Blut­strom von oben über mei­nen Pull­over ergoss und in kür­zes­ter Zeit alles rot ein­färb­te und durch­tränk­te. Ohne auch nur den Ansatz eines Schmer­zes zu spü­ren, lief ich blut­über­strömt in Rekord­zeit nach Hau­se, wo ich von mei­ner Mut­ter im Haus­flur bereits emp­fan­gen wur­de. An die fol­gen­den Minu­ten habe ich kei­ne Erin­ne­rung mehr, da ich ver­mut­lich durch den hohen Blut­ver­lust mein Bewusst­sein ver­lo­ren hat­te. Auf­ge­wacht bin ich kur­ze Zeit spä­ter in der „Kli­nik für Unfall- und Wie­der­her­stel­lungs­chir­ur­gie auf der Berufs­ge­nos­sen­schaft­li­chen Son­der­sta­ti­on für Schwer­st­un­fall­ver­letz­te am Kran­ken­haus Evan­ge­li­sches Stift St. Mar­tin in Koblenz”, so der damals offi­zi­el­le Name. Damals ope­rier­ten an die­ser Klink noch Chir­ur­gen mit prak­ti­schen Erfah­run­gen in der Behand­lung von Explo­si­ons­ver­let­zun­gen aus dem 2. Welt­krieg und das war mein gro­ßes Glück im Unglück. Ein Metall­teil der Spray­do­se hat­te näm­lich wäh­rend der Explo­si­on mei­ne rech­te Gesichts­hälf­te mit hoher Geschwin­dig­keit getrof­fen und vom Kinn aus in Rich­tung Ohr durch­ge­hend bis auf den Kie­fer auf­ge­schnit­ten. Dabei klapp­te die rech­te Gesichts­hälf­te unter­halb des Schnitts auf und fiel durch die Schwer­kraft nach unten, so dass der rech­te Kie­fer­be­reich mit den Zäh­nen frei­ge­legt wur­de und von außen sicht­bar war. Für den äuße­ren Betrach­ter war das mit Sicher­heit kein schö­ner Anblick, um es noch harm­los auszudrücken.

Wie ich in die Kli­nik kam und was zwi­schen­zeit­lich pas­siert ist, weiß ich nur aus den Berich­ten mei­ner Eltern, möch­te mich aber in der Schil­de­rung der Abläu­fe auf mei­ne eige­nen Erin­ne­run­gen beschränken.

Fakt ist, dass ich voll ver­ka­belt im OP-Saal wie­der zu Bewusst­sein kam, da die Ärz­te mei­nen Kreis­lauf mitt­ler­wei­le sta­bi­li­sie­ren konn­ten. Ich kann noch mich dar­an erin­nern, wie mein blut­durch­tränk­ter Pull­over auf­ge­schnit­ten wur­de, ein Team von ver­mumm­ten Gestal­ten um mich her­um­lief und irgend­wel­che Ein­zel­wör­ter mit Zah­len durch den Raum geru­fen wurden.

Danach ver­liert sich mei­ne Erin­ne­rung wie­der bis zum Erwa­chen auf der Inten­siv­sta­ti­on nach fünf­stün­di­ger Ope­ra­ti­ons­zeit. Der ver­ant­wort­li­che Ope­ra­teur hat­te mein zer­fetz­tes Gesicht in die­ser Zeit mit über 40 Sti­chen sowohl im Innen- als auch Außen­be­reich wie­der erfolg­reich zusam­men­ge­näht. Alle Sti­che wur­den per Hand mil­li­me­ter­ge­nau im glei­chen Abstand von­ein­an­der gesetzt. Eine com­pu­ter­ge­steu­er­te Näh­ma­schi­ne hät­te nicht exak­ter arbei­ten kön­nen. Dadurch wur­de ich von wei­te­ren Ope­ra­tio­nen in plas­ti­scher Chir­ur­gie verschont.

Lei­der exis­tie­ren von mir kaum Fotos aus die­ser Zeit, da ich nach der Aus­sa­ge mei­ner Eltern mei­ne Gesichts­nar­be auf kei­nem Kin­der­fo­to sehen woll­te. Auf­grund der schlech­ten Bild­qua­li­tät erkennt man die Nar­be auf den bei­den Fotos nur ansatzweise.

Trotz­dem wei­se ich heu­te nach fast 50 Jah­ren noch auf einen Teil der Nar­be zur Beant­wor­tung der o. g. Fra­ge hin.

Auf­grund des hohen Gefah­ren­po­ten­zi­als von Spray­do­sen in Ver­bin­dung mit Hit­ze kann das Ent­zün­den von Druck­gas­be­häl­tern nach § 308 Straf­ge­setz­buch als „das Her­bei­füh­ren einer Spreng­stoff­ex­plo­si­on ” aus­ge­legt werden:

„Wer anders als durch Frei­set­zen von Kern­ener­gie, nament­lich durch Spreng­stoff, eine Explo­si­on her­bei­führt und dadurch Leib oder Leben eines ande­ren Men­schen oder frem­de Sachen von bedeu­ten­dem Wert gefähr­det, wird mit Frei­heits­stra­fe nicht unter einem Jahr bestraft.”

Inso­fern kann ich aus eige­ner Erfah­rung jeden feu­er­lie­ben­den Schü­ler nur ein­dring­lich dazu auf­for­dern, auf sol­che lebens­ge­fähr­li­chen „Expe­ri­men­te” zu verzichten.

Im Inter­net kann man in regel­mä­ßi­gen Abstän­den immer wie­der ähn­li­che Unfall­be­rich­te mit dem Ver­lust von Nase, Augen usw. nach­le­sen. Man muss nicht selbst von einem Hoch­haus gesprun­gen sein, um zu wis­sen, dass man tot ist, wenn man unten ankommt.

Text und Fotos: Tho­mas Lauxen

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