Das Foto zeigt das Berliner Reichstagsgebäude unmittelbar vor dem Mauerfall am 09.11.1989. Das Reichstagsgebäude befand sich damals im Westteil der Stadt, die Berliner Mauer verlief unmittelbar hinter dem Gebäude entlang. Da zu dieser Zeit die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland noch Bonn hieß, wurde das Reichstagsgebäude für kulturelle Veranstaltungen wie beispielsweise die historische Ausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte” genutzt.
Obwohl die parlamentarischen Sitzungen des Deutschen Bundestages vor der Wiedervereinigung logischerweise in Bonn stattfanden, lud der damalige Fraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Alfred Dregger die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einmal pro Jahr zu einer Fraktionssitzung in das Reichstagsgebäude nach West-Berlin ein. Mit dieser Maßnahme wollte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Verbundenheit mit dem Reichstagsgebäude und mit der geteilten Stadt zum Ausdruck bringen. Man wollte sich nicht mit dem Zustand der Teilung abfinden und das Reichstagsgebäude als Ort eines demokratischen Parlaments für ganz Deutschland als Zukunftsperspektive erhalten. Aus mehreren persönlichen Gesprächen vor Ort mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CDU und Vorsitzenden des Sportausschusses im Deutschen Bundestag Peter Rauen weiß ich, dass in der Zeit des kalten Krieges die Spionagetätigkeiten und nachrichtendienstlichen Aktivitäten sowohl bei den Westalliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) als auch auf der Seite der Ostblockstaaten des Warschauer Paktes (vor allem DDR und UDSSR) auf Hochtouren liefen. Konkret wurde jede Gelegenheit genutzt, um sich an der Schnittstelle zwischen Ost und West gegenseitig zu bespitzeln und mit Hilfe von ausgefeilter Nachrichtentechnik abzuhören, zu überwachen und auszuspionieren. Diese Tatsache war jedem politischen Amtsträger voll und ganz bewusst und deshalb konnte man auch ganz offen und ohne Geheimniskrämerei zu betreiben, darüber reden und diskutieren. Nach der Aussage Peter Rauens ging diese Offenheit sogar soweit, dass zu Beginn der o. g. jährlich stattfindenden Fraktionssitzung im Reichstagsgebäude, also an der Nahtstelle zwischen Ost und West, der CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger nicht nur die anwesenden Bundestagsabgeordneten ganz offiziell begrüßte, sondern auch die mithörenden Geheim- und Nachrichtendienste in Ost und West. Es war also völlig normal und selbstverständlich, dass im Berliner Reichstagsgebäude die Wände Ohren hatten und man sich deshalb nie alleine in einem Raum aufhalten konnte.
Als dagegen vor einigen Jahren bekannt wurde, dass das Mobiltelefon von Angela Merkel jahrelang angeblich von der NSA abgehört wurde, ging ein Aufschrei der Entrüstung durch unser Land.
Zu weiteren Zeitzeugengeschichten:
Zu dem o. g. Bericht und dem dazugehörigen Foto vom damaligen West-Berliner Reichstagsgebäude in Frontansicht mit dem Haupteingang („Dem Deutschen Volke”) habe ich noch ein passendes Foto vom Süd-Ost-Flügel und seitlicher Rückansicht des Reichstaggebäudes gefunden (Anmerkung der Redaktion: aus fotorechtlichen Gründen dürfen wir dieses Foto nicht ohne Genehmigung im IGEL veröffentlichen). Im Gegensatz zu dem Foto mit Frontansicht (vom Tiergarten aus aufgenommen) wurde das Foto des Süd-Ost-Flügels im Jahr 1982 von Ost-Berlin aus aufgenommen. Man erkennt im unteren Bereich des Fotos einen kleinen Teil der Berliner Mauer von Osten aus fotografiert und sieht sehr gut, wie nah das Reichstagsgebäude damals an der Berliner Mauer stand. Die beiden Häuser am linken und rechten Bildrand befanden sich auf Ost-Berliner Seite und damit auf dem Staatsgebiet der DDR.
Das Foto ist in dem bereits erwähnten Buch „Fotografieren verboten! Die Berliner Mauer von Osten gesehen” von Lydia Dollmann und Manfred Wichmann (Hg.) auf der Seite 58/59 zu finden. Das Foto selbst wurde von Gerd Rücker, mit dem Risiko erwischt und verhaftet zu werden, aufgenommen.
Gerd Rücker schreibt in dem betreffenden Buch zu diesem Foto den folgenden Text (Zitat):„Zu dem Zeitpunkt, als dieses Foto entstand, fand im Reichstagsgebäude eine Sitzung der CDU-Fraktion des Deutschen Bundestages statt. Seit 1971 durfte der Deutsche Bundestag aufgrund des Viermächteabkommens nicht mehr in Berlin tagen. Im Reichstagsgebäude durften aber Ausschuss- und Fraktionssitzungen stattfinden. Das hatte ich im Radio gehört. Ich bin aber nicht aus diesem Grund dorthin gefahren. Es war eher Zufall, dass ich an diesem Tag in der Nähe des Reichstagsgebäude war.” (Zitat Ende)
Text und Fotos: Thomas Lauxen
Im November sind es schon 33 Jahre nach dem Umbruch. Ein guter Anlass das Thema Freiheit in Unterricht einzubinden.