Freut ihr euch? Heute gibt’s Zeugnisse. Zeugnisse gibt es schon sehr lange. Zum heutigen Tag zeigen wir euch ein Zeugnis des „Königlichen Gymnasiums zu Prüm”, das über 100 Jahre alt ist. Das vorliegende Zeugnis aus dem Jahr 1913 unterscheidet sich in folgenden Punkten von den heutigen Zeugnissen:
- Die Bezeichnung „Kgl. Gymnasium”” steht für „Königliches Gymnasium” und weist lediglich daraufhin, dass sich dieses Gymnasium in staatlichem Besitz befand.
- Die Jahrgangsbezeichnung „Quarta” steht für das 7. Schuljahr.
- Es handelt sich hierbei um ein Zeugnis, das nach Abschluss des ersten Jahresdrittels vergeben wurde, d. h., dass unter Berücksichtigung des Zeugnisdatums (05. August, 1913) das 1. Jahresdrittel am 01. April begonnen haben könnte.
- Als erste Kopfnote wurde der alte Begriff „Betragen” anstatt „Verhalten” verwendet. Die römische Eins als eigene Ziffer für diese Kopfnote weist auf die herausragende Bedeutung der Betragensnote hin.
- Mit römisch IIa. und IIb. wurden anstatt der heutigen „Mitarbeit” der damalige schulische „Fleiß” und die „Aufmerksamkeit” bewertet.
- Unter römisch III folgten dann die „Leistungen in den Unterrichtsgegenständen”, womit die schulischen Fächer heute bezeichnet wurden.
- Bemerkenwert erscheint mir die wichtige Stellung des Faches Latein innerhalb des Fremdsprachenangebotes, symbolisiert durch die oberste Platzierung im Fremdsprachenranking. Es folgen die Fremdsprachen Griechisch, Hebräisch, Französisch und zum Schluss Englisch. In den heutigen Zeugnissen steht dagegen das Fach Englisch ganz oben in der Fremdsprachenreihenfolge.
- Das Fach Sozialkunde als gemeinschaftskundliches Fach gab es zu dieser Zeit offensichtlich noch nicht.
- Trotz kombinierter Benotung wurde die Mathematik als Geisteswissenschaft vom praktischen Rechnen unterschieden.
- Das klassische Fach „Physik” wurde damals auch in den Zeugnissen in Abgrenzung zur eher biologieverwandten „Naturkunde” separat benotet. Da die Chemie sich erst im 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Naturwissenschaft entwickelt hat, wurden einzelne chemische Themen im Naturkundeunterricht der allgemeinbildenden Schulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch mit behandelt. Heute werden die drei Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik oftmals mit dem Fach NaWi unterrichtet.
- Das Fach bzw. der Unterrichtsgegenstand „Schreiben” ist heute integraler Bestandteil des Faches „Deutsch” und wird auf den Zeugnissen nicht mehr separat ausgewiesen
- Ob in dem Fach „Zeichnen” tatsächlich nur im heutigen Sinne gezeichnet und im Fach „Singen” nur gesungen wurde, kann ich nicht beurteilen. Dagegen kann ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass im Fach „Turnen” nicht nur Boden- und Gerätturnen praktiziert wurde. Der Begriff „Turnen” wurde im 18. Jahrhundert geprägt und seit dieser Zeit für sämtliche sportliche Aktivitäten verwendet. Der Begriff „Sport” kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus England auf das europäische Festland und ersetzte erst viel später in den Schulen die Fachbezeichnung „Turnen”.
- Mit „Ordinarius” wurde zur damaligen Zeit der Klassenlehrer bezeichnet.
- Ob auch Mütter als „Stellvertreter” des Vaters damals die Zeugnisse ihrer Kinder unterschreiben durften, weiß ich nicht. Aber vielleicht kann ein Igel-Leser diese Frage beantworten.
Text und Foto: Thomas Lauxen
Eine Antwort auf „Wie sahen die Schulzeugnisse vor mehr als 100 Jahren aus?“