Die beiden folgenden IGEL-Artikel vom 17.11.2019 und vom 7.9.2021 werden offenbar gerne gelesen und regen bei unseren Lesern weiterhin zur Abgabe von Kommentaren an – danke dafür:
http://igel.klrplus.de/erinnerungen-an-die-novembertage-1989-bis-zum-mauerfall-am-09–11-teil‑2/
Erinnerungen an die Novembertage 1989 bis zum Mauerfall am 09.11.
Deshalb folgt heute Teil 3 unserer Zeitzeugen-Serie: Unser Zeitzeuge Thomas Lauxen berichtet:
Bei dieser Aufnahme Anfang November 1989 vom Westberliner Stadtteil Zehlendorf aus handelt es sich um die Knesebeckbrücke, die damals Berlin-Zehlendorf (West-Berlin) mit Teltow (einer Kleinstadt am südwestlichen Stadtrand vom damaligen Ost-Berlin) verbinden sollte. Die Brücke überquert den Teltowkanal, wurde bereits im Jahr 1952 von der DDR aus gesperrt und zählte damals nicht gerade zu den touristischen High-Lights, die West-Berlin zu bieten hatte. Trotzdem oder gerade deshalb fuhr mein damaliger Kollege und Westberliner Privatguide mit mir extra nach Berlin-Zehlendorf, um mich mit dieser verrammelten Stahlkonstruktion sowohl optisch als auch emotional zu konfrontieren.
Ich kann mich auch nach mittlerweile über dreißig Jahren noch sehr gut an dieses bedrückende Gefühl des plötzlichen Ausgebremst seins bzw. des Nichtüberallhinfahren Könnens erinnern.
Als junger Erwachsener und Bürger der Bundesrepublik Deutschland war ich so erzogen und sozialisiert worden, überall auf der Welt hinfahren und hinreisen zu können. Mir stand im wahrsten Sinne des Wortes sowohl beruflich als auch geografisch die Welt offen. Und nun war da eine gesperrte Brücke, die mich in meinem banalen Freiheitsdenken einfach daran hinderte, von Zehlendorf aus nach Teltow zu fahren. Vergeblich suchte ich damals nach einem Schlupfloch oder einer Möglichkeit, die Sperranlage zu überqueren. Dabei lief ich mehrfach an der Brücke hin und her und entwickelte eine Art sportliche Herausforderung mit völlig abstrusen Ideen (Entlanghangeln unter der Stahlkonstruktion, mit Anlauf und einem Glasfieberstab in Stabhochspringermanier die Sperranlage überspringen usw.) dieses Hindernis zu meistern. Mein Guide stand derweil an seinem Auto und rauchte genüsslich eine Zigarette, während er grinsend meine vergebliche Suche nach einer Möglichkeit der Überquerung beobachtete, um mich nach kurzer Zeit mit den Worten „forget it” zum Weiterfahren aufzufordern.
Die Westberliner Bevölkerung hatte sich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch mit der ewigen Unpassierbarkeit der Knesebeckbrücke abgefunden. Aber das sollte sich ja bekanntermaßen dann in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten fundamental ändern.
Tipp:
Unter folgendem Link kann man sich die Knesebeckbrücke von heute anschauen. Wenn man heute zu Fuß oder mit dem Fahrrad die ehemalige Grenze zwischen West- und Ostberlin mit der Berliner Mauer abgeht bzw. abfährt, passiert man irgendwann auch die Knesebeckbrücke:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Knesebeckbr%C3%BCcke_1_Teltowkanal.JPG
Foto und Text: Thomas Lauxen
Im Rahmen der Wiedervereinigung wurde der Sowjetunion
verbindliche Garanten gegeben, dass sich die welstliche Alianz
nicht über die Grenzen der ehemaligen DDR hinaus ausdehnen würde.
Kaum eine andere Frage hat das Verhältnis zwischen Russland
und dem Westen so stark belastet, wie die Osterweiterung der NATO.
Militärbasen in unmittelbaren Nachbarschaft Russlands aufzubauen und militärische Kräfte immer dichter
an die rusische Staatsgrenze heranzuführen
finden unsere Nachbarn, Russen, weniger richtig.
Zur Frage der Nato-Osterweiterung über die ehemalige Ost-Grenze der DDR hinaus und den damit im Zusammenhang stehenden Garantien des Westens an die damalige Sowjetunion existieren widersprüchliche Meinungen und Thesen.
Unabhängig davon, wer wem was damals im Zuge der deutschen Wiedervereinigung zugesichert hat oder nicht, weise ich zur Frage der Nato-Osterweiterung auf die Ausführungen des US-amerikanischen Historikers und Diplomaten George F. Kennan hin, der nach Wikipedia „an der Princeton University und später an der Universität Berlin” studierte.
„Zwischen 1926 und 1961 arbeitete er für das Außenministerium der Vereinigten Staaten, unter anderem in Moskau, Berlin, Prag, Lissabon und London. Von 1947 bis 1949 war George F. Kennan im US-Außenministerium als Planungschef tätig.
Im Jahr 1957 erhielt er den Pulitzer-Preis, 1976 den Pour le Mérite[2] und 1982 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.”
Nach Wikipedia war Kennan „einer der ersten nachdrücklichen Warner vor einer Osterweiterung der NATO. Am 5. Februar 1997 schrieb er in einem Gastbeitrag für die New York Times, dass die Entscheidung der Regierung Clinton, die NATO bis zu den Grenzen Russlands zu erweitern, der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg wäre (“expanding NATO would be the most fateful error of American policy in the entire post-cold war era”). „Diese Entscheidung kann erwarten lassen, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden“ („Such a decision may be expected to inflame the nationalistic, anti-Western and militaristic tendencies in Russian opinion; to have an adverse effect on the development of Russian democracy; to restore the atmosphere of the cold war to East-West relations, and to impel Russian foreign policy in directions decidedly not to our liking“).[15]”
Letzten Endes spielt es also keine Rolle, ob im Zuge der Wiedervereinigung irgendwelche Garantien des Westens gegenüber Russland bzgl. der Nato-Osterweiterung abgegeben wurden oder nicht. Nach George F. Kennan war die Nato-Osterweiterung bis an die russische Grenze ein schwerer Fehler, dessen Folgen die Ukraine nun ganz offensichtlich zu spüren bekommt.
An dieser Brücke in Berlin-Zehlendorf bin ich aufgewachsen. Meine Mutter war vor dem Mauerbau aus Sachsen geflüchtet. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Kind neben ihr auf den mit Eisengittern verrammelten Teltowkanal schaute, über die kaputte Brücke rüber die DDR blickte und sie fragte: „Mama, wann wird diese Brücke wieder aufgebaut?” „Nie”, antwortete sie mit ernster Miene. Für mich als Westberliner ist es immer noch ein Wunder, dass alles anders gekommen ist.
Vielen Dank für diese historischen Erinnerungen eines Westberliner Zeitzeugen, die meine emotionalen Eindrücke an der Knesebeckbrücke im November 1989 in besonderer Weise bestätigen. Die Frage des kleinen Jungen nach dem Wiederaufbau der Brücke und meine damaligen Bemühungen eine Überwindungsmöglichkeit der Sperranlagen zu finden, sind Ausdruck der menschlichen Sehnsucht nach Freiheit – in dieser konkreten Situation nach der Freiheit zur Überquerung des Teltowkanals. In der Antwort „Nie” und dem Kommentar
„forget it”, steckte die gleiche Botschaft: Mach dir keine Hoffnungen!
Die Tatsache, dass man über diese Brücke heute ganz selbstverständlich von Zehlendorf nach Teltow fahren kann, würde auch ich als ehemals Westdeutscher vor dem Hintergrund der Geschichte als Wunder bezeichnen.
Zuwanderung nach Deutschland
Wie die Bundesrepublik, hat sich auch die DDR nie als ein
Einwanderungsland verstanden.
Zwischen 1955 und 1973 kommen Gastarbeiter zunächst aus Italien, dann aus anderen Mittelmeerländern. Die Verantwortlichen in Politik dachten zunächst an die
Arbeitskräfte, „aber es kamen die Menschen” (Max Frisch).
Ab 1980 kommen Vertragsarbeiter in die DDR. Sie kamen
aus Algerien, Kuba, Mosambik, Vietnam, Angola, China. Und trotzdem waren bis 1989 Ausländer in DDR- Alltag eher die Ausnahmen.
Seit 1989 ist das Thema Lenkung und Steuerung der Migtration
in den Mittelpunkt gerückt. Mit der Zusammengehen
der beiden deutschen Staaten entstand eine neue Einwanderungssituation. Ein spezieller Migrationsgrund ist
Existentielle Unsicherheit und Flucht, wo das Leben bedroht wird.
_ Was gibt es denn Ausschlag dafür, dass Zugewanderte
positiv aufgenommen werden?
_ Sind Arbeitskräfte Garant für Wachstum und Wohlstand?
Wir sind Experten für alle Fragen, die uns selbst betreffen.
„Warum begegnet man dem Fremden mit Misstrauen? Warum
hält man Abstand zu ihm? Er kam ungebeten, wird man sagen,
also störte er, er ist aus dem Nichts aufgetaucht,
von irgendwoher… vereinzelt dringt er ein in eine Welt,
die vor ihm da war und seiner nicht bedarf. Er mag Angst haben,
aber man hat auch Angst von ihm.
…weil er mir auf eine Weise ähnlich ist, erschreckt mich der Fremde”.
/der jüdische Schriftsteller Elie Wiesel/
Mit den beiden Staaten entwickelten sich auch zwei deutsche
Literaturen.
Aus westdeutscher Literatur:
Es ist wie es ist
Es ist Unsinn,
sagt die Vernunft,
es ist was es ist,
sagt die Liebe.
es ist Unglück,
sagt die Berechnung,
es ist nichts als Schmerz,
sagt die Angst.
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht,
es ist was es ist,
sagt die Liebe.
Es ist lächerlich,
sagt die Stolz,
es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht,
es ist unmöglich,
sagt die Erfahrung,
es ist was es ist,
sagt die Liebe. /Erich Fried. 1983/
aus der Deutschen Demokratischen Republik:
Schwächen:
Du hattest keine.
Ich hatte eine.
Ich liebte. / Bertolt Brecht. 1956/
Zweimal Deutschland
1949 wird aus der sowjetischen Besatzungszone
die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Sie entwickelt sich
zu einem sozialistischen Staat. Die Hauptstadt der DDR ist
Ostberlin.
1961. Die DDR baut die Mauer in Berlin und einen Schutzzaun
an der übrigen Grenze.
Die Mauer aus Beton und Stacheldraht teilte Deutschland in zwei
Hälften. Die Flagge der DDR ist wie die von der Bundesrepublik Deutschland, allerdings mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz
in der Mitte.
Die DDR und die Bundesrepublik Deutschland bekamen eigene Armeen. Die DDR wurde Mitglied im Warschauer Pakt,
die Bundesrepublik in der NATO.
1953 kam es in der DDR zu Demonstrationen gegen die kommunistische Diktatur. Der sozialistische Staat schlug
den Aufstand mit Hilfe der sowjetischen Armee nieder.
Dazu schreibt Bertolt Brecht:
„Nach dem Aufstand des 17. Juni
ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
in der Stalinallee Flugblätter verteilen,
auf denen zu lesen war, dass das Volk
das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückbekommen könne.
Wäre es da nicht doch einfacher,
die Regierung löste das Volk auf und
wählte ein anderes?”
Willi Brandt, Friedensnobelpreisträger (1971), erstrebte
Versöhnung zwischen Bundesrepublik Deutschland und dem Ostblock.
1989 öffnet die DDR die Mauer in Berlin.
1990. Deutschland wird wieder ein Staat.
Habe diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs
viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft erlebt,
sowohl bei den Deutschen, auch bei den Russen.
Unsere Aufmerksamkeit wurde gelenkt auf den Bericht:
„Erinnerungen an die Novembertage 1989”.
Das neue System erlaubte uns Auswanderung. Arbeitskräfte sind
Stärke des Landes; Sie sind geistige Kraft; Der Reichtum
einer Nation ist ihre Bevölkerung und uns kann man nicht
mehr ersetzen in einer Generation, wo wir hingehörten.
Die beständige Auswanderung und „stürmische Attacken”
der Migranten sind Schattenseiten des Zerfalls.