Bei den Toten handelt es sich um Verwandte meiner Familie mütterlicherseits. Die zwölfjährige Siglinde Ludwig war eine Cousine meiner Mutter. Meine Mutter (Jahrgang 1937) ist eine geborene „Ludwig”. Der Polizeimeister Hans Ludwig, Vater der getöteten Siglinde, war ein Bruder meines Großvaters mütterlicherseits und damit der Onkel meiner Mutter und mein Großonkel.
Die Berichte meiner Mutter über die miterlebten Bombenangriffe aus dieser Zeit passen exakt zu den Fernsehbildern, die wir heute in regelmäßigen Abständen aus der Ukraine sehen. Leider leben in Deutschland immer weniger Zeitzeugen von Krieg und Zerstörung, die das Leid von Bomben- und Raketenangriffen aktiv miterlebt haben und deshalb die nachfolgenden Generationen aus erster Hand über die Schrecken des Krieges informieren können. Durch die plastische Schilderung des Erlebten erhalten Zeitzeugenberichte grundsätzlich eine andere Qualität, weil hier Informationen mit Emotionen verbunden werden. Dadurch werden die beschriebenen Erlebnisse im Langzeitgedächtnis der Zuhörer abgespeichert und können von dort aus die Einstellung zum Thema Krieg, Gewalt und Zerstörung in Richtung Wertschätzung von Frieden und Freiheit positiv beeinflussen.
Die Tatsache, dass nur noch wenige Politiker, wie beispielsweise der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum (Jahrgang 1932) oder der ehemalige Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi (Jahrgang 1928) als Zeitzeugen entsprechende Aufklärungsarbeit über den 2. Weltkrieges leisten können, hat sich in den letzten Jahren auch auf sicherheitspolitische Entscheidungen ausgewirkt.
So wäre vermutlich unter den Bundeskanzlern Helmut Schmidt (Jahrgang 1918) und Helmut Kohl (Jahrgang 1930) die Zahl der Bundeswehrsoldaten nicht von 600000 kurz nach der Wiedervereinigung auf aktuell 180.000 reduziert worden.
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs steckt in der Reduzierung der Truppenstärke seit 1990 ein erhebliches Sicherheitsrisiko für Deutschland. Wir können nur hoffen, dass bei den Präsidentschaftswahlen in den USA im nächsten Jahr Joe Biden im Amt bestätigt wird. Falls Donald Trump die Wahl gewinnen sollte, wäre Europa gezwungen massiv aufzurüsten, um das Abschreckungspotenzial gegenüber Russland aufrecht zu erhalten und damit den Frieden zu sichern.
Am 18.1.24 erscheint auf Welt online der folgende Artikel zu dieser Thematik:
Joschka Fischer hält „massive Aufrüstung“ für nötig (msn.com)
Die Tatsache, dass ein hochrangiger grüner Ex-Außenminister so eine Erkenntnis gewinnt und der SPD-Verteidigungsminister Pistorius von der notwendigen „Kriegstüchtigkeit” des Deutschen Volkes spricht, zeigt den Ernst der Lage.
Text und Foto: Thomas Lauxen
Kaum ein Thema (außer der Liebe)
ist in der Literatur so präsent, wie Krieg und Frieden.
„Drüng hatte immer gefroren, auch im Sommer, denn er war blutarm, arm überhaupt,
Sohn einer Witwe, deren Mann im Krieg gefallen war.
Damals war er zehn Jahre alt und er war immer so geblieben,
frierend, blutarm, arm uberhaupt, Sohn einer Witwe, deren Mann im Weltkrieg gefallen war”.
/Heinrich Böll, „Wiedersehen mit Drüng”/
Neben der Liebe ist Krieg
eines der wichtigsten Themen in der Literatur.
Deutscher Soldat Heinrich Böll in der Stadt am Schwarzen Meer;
Worte, geprägt vom liberalen Geist:
„Wir sangen und warteten auf die Gelegenheit, über die Mauer zu gehen… Wir mussten zur Strafe die großen heißen Kaffeekannen
schleppen und Brote abladen. Und dabei stand in einem wunderbaren Pelzmantel ein Zahlmeister und zählte, damit kein Brot plattgeschlagen wurde.
Wir wollten nicht sterben, wir wollten nicht auf die Krim,
aber wir wollten auch nicht in dieser schmutzigen Kaserne hocken, wo sie immer Brote
abluden, die für die Front bestimmt waren
und wo immer Zahlmeister dabei standen und zählten,
damit kein Brot plattgeschlagen wurde”.
/Heinroch Böll, „Damals in Odessa”/
_ Großmütterchen, sag uns ein paar schöne Verse auf.
„Ich glaube an eine wahrhaftige Vereinigung
des Morgenlandes und
des Abendlandes”
/Rabindranath Tagore, Indischer Dichter, 1861_ 1941/
1942. Mit den Deutschen kamen Rumänen, Italiener.
Wer konnte wissen, wo sie jetzt standen.
Nur aus den Deutschen Heeresberichten und den Gesprächen
Deutscher Soldaten ließ sich erraten, wo, in welchem Abschnitt
der Sohn, der Vater oder Bruder kämpfte, oder gar schon sein Leben für die Heimat gelassen hatte.
Bericht aus Krassnodon:
1942. Unsere Schule stand leer und war verschlossen. Ich sah
Türen mit Aufschriften: „Lehrerzimmer”, „Direktor”, „Physiksaal”, „Chemiehsal”, „Bibliothek”. Aus diesen leeren Klassenzimmern
mit ihren verlassenen Bänken wehte auf einmal ein Hauch der Welt entgegen, in der ich aufgewachsen war. Einst war mir diese Welt alltäglich, sogar langweilig erschienen.
Wo waren jetzt die Lehrer und Schüler,
wohin hatte das Schicksal sie verweht?
Bericht aus Köln:
„Die Töten hierhin, und die anderen die Treppe hinauf in den Zeichensaal.”
Ich war noch nicht tot, ich gehörte zu den anderen, und sie trugen mich die Treppe hinauf. Da waren Türen mit Schildern: 6a und 6b.
Dann kamen die Türen mit 5a und 5b.
Nun wurde die Tür zum Zeichensaal aufgerissen. Hier habe ich acht Jahre lang Vasen gezeichnet und Schriftzeichen geübt.
Schriften aller Art, Rundschrift, Antiqua, Römisch.
Hier hatte ich stundenlang die Langeweile gefressen
und niemals hatte ich Vasen zeichenen können oder Schriftzeichen malen.
Es könnte doch nicht sein,
dass ich vor drei Monaten noch hier gegessen, Vasen gezeichnet und Schriften gemalt hatte, dass ich in den Pausen heruntergegangen war mit meinem Marmeladenbutterbrot zum Hausmaister, zu Birgeler, um Milch zu trinken, Milch in diesem kleinen Stübchen.
Sicher trugen sie den, der neben mir gelegen hatte, unten hin, wo die Toten lagen. Vielleicht lagen die Töten in Birgelers kleinen Stübchen, wo es nach warmer Milch roch.
Der Feuerwehrmann stend vor der Tafel und lächelte
mich an. Er lächelte müde und traurig. An seiner Schulter vorbei, auf der schmierigen Rückseite der Tafel sah ich etwas , was mein Herz spüren machte:
Da war meine Handschrift an der Tafel. Da stand er noch,
der Spruch, den wir damals haten schreiben müssen:
Wanderer, komst du nach Spa…
Die Tafel war zu kurz gewesen, und der Zeichenlehrer hatte geschimpft, dass ich nicht richtig eingeteilt hatte,
die Schrift zu groß gewählt
und er hatte es kopfschüttelnd in der gleichen Größe daruntergeschrieben:
Wanderer, kommst du nach Spa…
Siebenmal stand er da: in meiner Schrift, in Antiqua, Römisch und rundschrift, siebenmal deutlich und unerbittlich:
Wanderer, kommst di nach Spa…
/nach Heinrich Böll, Wanderer, kommst du nach Spa/
Onkel hat Literatur studiert, versteht wenn deutsch geredet wird.
„Wo ist hier ein Waschtisch?” Der Deutsche hatte eine Seifendose in der Hand und ein Handtuch über der Schulter.
„Wir haben keinen Waschtisch” sagte ser Onkel, „wir gießen uns im Hof aus eimen Krug Wasser über die Hände.”
„Und im Winter?” _ fragte er.
1941. Unser Gebiet wurde von Deutschen besetzt. Niemand wusste, wie sich das Leben dei den Deutschen gestaltet wurde, wie sie wirtschaften und regieren.
1942. Was würdest du tun, lieber Leser,
wenn du noch klein wärest, barfuß liefest, die Beine zerkratzt
hättest?
„Ich möchte wissen, in welchen Verhältnissen der Junge aufwächst.
Ich möchte endlich einmal herausfinden, weshalb er sich so benimmt”, sagt der Lehrer. Aus seiner Stimme klingtder Vorwurf
gegen meine Eltern. Die Mutter weiß ncht, wohin sie ihre Hände stecken soll. Der Vater schweigt und versucht vor dem Lehrer, auf seine Krücke gestützt, aufzustehen.
Und erst jetzt bemerkte ich, dass die Eltern schon lange keine Feiertagskleider haben. Lange schon essen nicht mehr
mit den Kindern zusammen am Tisch,
sondern abseits, dass man nicht sieht, was sie essen,
denn sie nehmen für sich nichts, als
Schwarzbrot, Kartoffeln und Buchweizengrütze.
Nach diesem Tag zeigte sich plötzlich, ich bin erwachsener geworden.
_ Großmütterchen, erzähl was vom Krieg.
_ Die Menschen vergaßen ihr Familienleben. Sie lebten, aßen, schliefen nicht in hren Wohnungen, sondern in den Räumen
der Behörde und Betriebe.
Ich hatte den Wunsch zu lernen, weiterzulernen. Der Krieg könnte ja nicht ewig dauern, bald musste er ein Ende haben.
Dann würde man leben, würde arbeiten müssen,
und wie notwendig wären die Menschen, die etwas gelernt hatten.
Im Mai 1942 geriet ich in Gefangenschaft. Jetzt hat mein letztes Stündlein geschlagen, denke ich. In der Nacht regnete es in Strömen.
Der Deutsche überwacht mich.
_ „ Bist du verwundet?” _ sagte er.
_ Warum willst du das wissen?
_ Ich bin der Arzt, vielleicht kann ich dir helfen.
Ich klage über meine linke Schulter.
Er beginnt mit seinen dünnen Fingern die Schulter abzutasten. Ich höre, wie er leise sagt: „ Dein Arm ist nicht gebrochen, er war nur ausgerenkt und ich habe ihn wieder eingerenkt. Na, wie fühlst du dich jetzt? Ist dir leichter?”
Er geht in der Dunkelheit weiter und fragt halblaut:
„Wer ist verwundet?”
Heute ist erster wirklich warme Tag nach dem Winter bei uns in Russland.
Ich schaue auf meine alte Soldatenpelzmütze. 1941 baute ich
(in der Nähe einer Flugzeugfgabrik) ein Häuschen mit zwei Stuben, einer Vorratskammer, einem kleinen Flur.
Meine Frau kaufte zwei Ziegen. Was braucht der Mensch noch?
Und dann _ über Nacht der Krieg! Am zweiten Tag Gestellungsbefehl, am dritten Tag _ Abtransport mit der Bahn.
Drei Kindrer haben mich zum Bahnhof begleitet: Nadja, Olga, Anatoli.
Der Zug fährt schon, ganz langsam fährt er. Ich muss an den Meinen vorbei. Meine Kinder winken zu mir,
versuchen zu lächeln, aber es gelingt ihnen nicht.
Schmerzpunkte des Krieges in verschiedenen Teilen der Welt
Friedhof Naiman- Ana in Kirgisistan
(Die Geschichte eines Krieges, als die Mongolen in Kirgisistan grausame Form von Barberei hervorgebracht haben)
Die Juan-Juan (Nomadisierte Mongolen), nachdem sie die Steppe erobert hatten, behandelten die Gefangenen des Krieges äußerst grausam. Sie steckten den Kopf ihres Opfers in einen Schiri.
Zuerst schor man ihnen die Schädel kahl, schabte sorgsam jedes Härchenan der Wurzel ab. Dann tötete Juan-Juan ein Kamel.
Die schniten Kamelhaut in Stücke, stülpten sie noch feucht-warm über den gechorenen Schädel der Gefangenen _etwa so wie heutige Badekappen _Das hieß _einen Schiri anlegen.
In diesem Zustand brachte man sie an einen möglichst
entlegenen Ort, wo ihre herzreißenden Schreie nicht zu hören waren und setzte sie auf freiem Feld aus, an Arme und Beine gefässelt in glühender Sonne, ohne Wasser, ohne Nahrung.
Die Fölter dauerte Tage und Nächte.
Wer nach solch ein Prozedur nicht unter Folter quellen starb, verlor allzeit sein Gedächtnis und wurde zum Mankurt, zu einem Sklaven,
der sich nicht mehr an seine Vergangenheit erinnerte.
Ein Mankurt wusste nicht, wer er war,
woher er stammte, er kannte seinen Namen nicht,
erinnerte sich nicht an die Kindheit,
und nicht an Vater und Mutter,
ein Mankurt begriff sich selbst nicht
als menschliches Wesen.
Nie kam ihm der Gedanke der Flucht.
Nur ein Mankurt konnte in völliger Einsamkeit Menschenleere der Steppe ertragen.
Für sich selbst verlangte er nichts außer Essen und alte Lumpen,
damit er nicht erfror in der Steppe.
Schlimm genug ist es eiunem Gefangenen Schaden zu fügen,
schlimmer ist ihm sein Gedächtnis zu rauben.
Mankurt ist nur die äußere Hülle,
nur ein Popanz des früheren Menschen.
Später verbreitete sich das Grücht, der und der sei von Juan-Juan
zum Mankurt gemacht worden.
Dann suchten nicht einmal die nächsten Verwandten ihm zu retten, denn das hätte nur geheißen, einen Popanz des einstigen
Menschen zurüchkuholen.
Klagelied der Mutter _ Naiman-Ana:
„Als man dir, mein Kind, dein Gedächtnis entriß,
als dich auf der Steppe Durst quellte
und kein Tropfen vom Himmel fiel,
als du brülltest Gott anflehtest Tag und Nacht,
als du Hilfe erhofftest von einem unbewegten Himmel,
Hast du da nicht Gott verflucht,
der uns alle gesachaffen hat
in dieser von ihm selbst verlassenmem Welt?
Als du den Blick derner Muter vergaßest,
als du deinen Namen und den Namen deines Vaters verloren hast,
hast du da nicht deine Mutter verflucht,
weil sie es einst gewagt hat
dich auf die Welt zu setzen für ein solchen Tag”
Naiman-Ana geht sein Kind suchen. Sie verließ ihre einsame Jurte. Wasser nahm sie reichlich mit, in zwei Schläuchen
führte sie es mit für den Fall, dass die Brunnen in der Steppe nicht sogleich entdeckte. Naiman-Ana hatte einen großen Weg zurückgelegt zu einer Stadt mit Moscheen und Festungsmauern.
Vielleicht war ihr Sohn dort auf einem Sklavenmarkt?
Plötzlich erblickte Naiman-Ana Kamelherde.
Da weidet sie, die Herde, doch wo ist der Hirt?
Von fern erkannte sie nicht, wer er war.
Das Erscheinen der Mutter machte auf ihn nicht den
geringsten Eindruck. Er fragte nicht einmal, wer sie sei und warum sie weinte.
„Wie heißt dein Vater? Und wer bist du selbst, woher stammst du? Wo bist du geboren?
Er erinnerte sich an nichts.
„Erinnerst du dich nicht an den Vater, Er hat dich doch schon als kleines Kind gelehrt, mit Pfeil und Bogen umzugehen.”
Dann gab sie ihm zu Essen und Trinken und sang ihm Wiegenlieder. Diese Lieder gefielen ihm sehr.
„Sie ist nicht deine Mutter”- Sagten Juan-Juan, „ Weißt du , warum sie gekommen ist, sie will dir deine Mütze herunterreißen
und deinen Kopf verbrühen. Nun keine Bange! Der Juan-Juan richtete ihm Bogen und Pfeile.
Der Pfeil drang Naiman-Ana unterm Arm in die linke Seite.
Naiman-Ana sank langsam zur Erde. Doch zuerst fiel ihr das weiße Tuch vom Kopf, verwandelte sich in der Luft in einen
Vogel und flog.
/Quelle: Tschingis Aitmatov, Ein Tag länger als ein Leben”
Die Gegend hier ist schwierig _ weit und breit nur Steppe.
Eine nach dem anderen heulten die Likomotive, forderten freie fahrt… und kein Ende war abzusehen. Woher nahmen sie nur dieses zahllose Menschenheer, Zug um Zug jagte an die Front, Tag und Nacht und das wochenlang, monatelang, jahrelang.
Alle nach Front _ dorthin, wo Welten gegeneinander kämpften
um Leben und Tod.
/Quelle: Tschingis Eitmatov, „Ein Tag länger als ein Leben”/
1944. Männer gab es überhaupt keine, als hatte sie der Krieg
hinausgefegt.
Was ich später auf den Bahnhöfen sah, bereitete mir tiefes Leid.
Beinlose, armlose Menschen in schäbigen Uniformmänteln und allerlei Lumpen.
Opa war Ende vierundvierzig aus der Armee entlassen worden. Vor dem Fronteinsatz war er Fischer gewesen. Und was blieb ihm jetzt?
Er war zu nichts nütze.
„Danilo, erzähl uns was vom Krieg, bevor wir schlafen gehen”, _ sagten wir zu Opa.
„Vom Krieg sagst du? Nein, es ist besser, ihr wisst nichts vom Krieg”.
Liebe IGEL-Redaktion,
jedes mal berührt mich schmerzhaft so etwas, wie „Massive Ausrüstung gegeneinander”.
Wer liebt nicht seine Heimat, sein Volk?
„Wozu Krieg, anstatt einander zu lieben?”