Kommentar zum 40-jährigen IGEL-Jubiläum
In den vergangenen 40 Jahren stand der IGEL gedruckt oder online für die Meinungs- und Pressefreiheit an unserer Schule und hat damit einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur geleistet.
Dabei war und ist der IGEL nicht irgendeine schulische AG unter vielen im Ganztagsangebot der Kaiser-Lothar-Realschule plus, sondern eine vielfach prämierte und von unabhängigen Juroren ausgezeichnete Schülerzeitung, die sich qualitativ von der großen Masse abhebt und seine Konkurrenzfähigkeit mit Schülerzeitungen aller Schularten regelmäßig unter Beweis stellt.
Die IGEL-Redakteure tragen in der IGEL-AG wöchentlich dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler unter der fachmännischen Beratung von Catrin Stecker über die wichtigen und auch weniger wichtigen Dinge an unserer Schule informiert werden und motivieren durch die Veröffentlichung interessanter und unterhaltsamer Artikel auch lesefaule Kinder und Jugendliche zur Beschäftigung mit längeren zusammenhängenden Texten.
Die inhaltliche Erschließung von Zeitungsartikeln erscheint bei einer funktionalen Analphabetenquote in Deutschland von ca. 7 Prozent mittlerweile nicht mehr selbstverständlich.
Die Gründe hierfür liegen u. a. in einem fortschreitenden Trend zur Verkürzung, Vereinfachung und Reduzierung unserer Muttersprache durch den exzessiven Konsum von digitalen Medien.
In dem Science Fiction-Roman „1984“ beschreibt George Orwell im Jahr 1948 eindrucksvoll die systematische Dekonstruktion der Sprache und ihre Folgen.
Der Philologe Syme, Freund des Hauptakteurs Winston Smiths, antwortet auf dessen Nachfrage mit folgenden Sätzen: (Zitat)
„Wir merzen jeden Tag Worte aus – massenhaft, zu Hunderten. Wir vereinfachen die Sprache auf ihr nacktes Gerüst. Die Elfte Ausgabe wird kein einziges Wort mehr enthalten, das vor dem Jahr 2050 entbehrlich wird.”
„Weißt du auch, dass die Neusprache die einzige Sprache der Welt ist, deren Wortschatz von Jahr zu Jahr kleiner wird ?”
„Siehst du denn nicht, dass die Neusprache kein anderes Ziel hat, als die Reichweite deiner Gedanken zu verkürzen?”
„Mit jedem Jahr wird es weniger und immer weniger Worte geben, wird die Reichweite des Bewusstseins immer kleiner und kleiner werden.”
„Hast du schon einmal bedacht, Winston, dass um das Jahr 2050 kein Mensch mehr am Leben sein wird, der ein solches Gespräch, wie wir es eben führen, überhaupt verstehen könnte?”
Durch das konsequente Ausformulieren und Verfassen von Zeitungsartikeln bei gleichzeitig hoher Popularität und Akzeptanz innerhalb der Schülerschaft, setzt der IGEL ein klares Zeichen gegen den Zeitgeist zur Verkürzung, Vereinfachung und Reduzierung unserer Muttersprache und fördert somit die Schreib- und Ausdrucksfähigkeit der IGEL-Redakteure im Besonderen und die Lese- und Texterschließungskompetenz unserer Schülerinnen und Schüler insgesamt.
Der IGEL stemmt sich also mit seiner redaktionellen Arbeit mehr oder weniger ungewollt gegen die scheinbar unaufhaltsame Analphabetisierung der Gesellschaft, trägt dabei noch ganz wesentlich zur Meinungsbildung und (nach George Orwell) zur Bewusstseinserweiterung seiner jungen Leserinnen und Lesern bei.
Die jugendliche Neutralität und Unbekümmertheit, mit der unsere Schülerzeitungsredakteure Missstände wie beispielsweise Mobbing und Diskriminierung thematisieren, fördert trotz ständig sinkenden Wortschatzes eine konstruktive Streitkultur unter unseren Kindern und Jugendlichen.
Dabei werden die IGEL-Redakteure mit der Veröffentlichung ihrer Zeitungsartikel in Zeiten von Hate Speech, Fake-News und Sensitivity-Reading der großen Verantwortung für die Meinungs- und Pressefreiheit in unserer Schule stets gerecht.
Durch die Unabhängigkeit des „stacheligen IGELs“ brauchen die Berichtschreiber auch weiterhin kein Blatt vor den Mund zu nehmen und können den Leserinnen und Lesern ihrer Zeitung frei nach George Orwell gelegentlich auch mal sagen, was sie nicht hören wollen.
Die gesamte IGEL-Redaktion kann rückblickend stolz und glücklich auf die Pressearbeit in den vergangenen 40 Jahren schauen und im Bewusstsein ihrer großen Verantwortung für die Weiterentwicklung einer demokratischen Schulkultur die nächsten 40 Jahre angehen.
Koblenz, 21.10.2019
Thomas Lauxen
(Zeitungsleser und Medienkonsument)