Der folgende IGEL-Artikel vom 17.11.2019 hallt bei unseren Lesern offensichtlich immer noch nach und regt zur Abgabe von Kommentaren an:
Erinnerungen an die Novembertage 1989 bis zum Mauerfall am 09.11.
Deshalb hat sich unser Zeitzeuge Thomas Lauxen bereit erklärt, dem IGEL einen interessanten und exklusiven Nachschlag zum Thema „Mauerfall” zu liefern. Er berichtet:
Bei dem Foto handelt es sich um die Skulptur „Aufbauhelfer” von Fritz Cremer vor dem Roten Rathaus. Dieses Foto habe ich am 04.11.1989 unmittelbar nach Beendigung der bereits angesprochenen, nicht staatlich organisierten Großdemonstration am Alexanderplatz aufgenommen. Auf dem Schild steht folgender Wortlaut:
„Auch ich möchte Biermann (Wolf) herzlich einladen”. Der DDR-Bürger, Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann war damals mit seinen systemkritischen Texten der DDR-Führung schon länger ein Dorn im Auge. Nachdem die westdeutsche Gewerkschaft IG-Metall Wolf Biermann im Jahr 1976 zu einer Konzerttournee nach Westdeutschland eingeladen hatte, wurde der daraufhin von ihm gestellte Ausreiseantrag durch den amtierenden Staatsratsvorsitzenden der DDR Erich Honecker überraschenderweise genehmigt. Nach Beendigung der Konzerttournee wurde dann schnell klar, warum die Staatsführung der DDR dem Ausreiseantrag Biermanns schnell und unbürokratisch zugestimmt hatte. Man wollte den unbequemen Regimekritiker Biermann auf diese Weise elegant loswerden, indem man ihm zunächst die Wiedereinreise in die DDR verweigerte und ihn in Folge einfach ausbürgerte. Die Ausbürgerung Biermanns löste in der Künstlerszene der DDR große Proteste aus. Die DDR-Führung wurde aufgefordert, die Ausbürgerung Biermanns wieder rückgängig zu machen – leider ohne Erfolg.
Der mir unbekannte Verfasser des o. g. Plakats spielt mit diesem Schriftzug meiner Meinung nach auf die oben beschriebene Einladung aus dem Jahr 1976 an. Mit der Positionierung dieses Plakats an der Skulptur des Aufbauhelfers weist er diesem die Aufgabe zu, am Aufbau einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mitzuhelfen, damit Wolf Biermann wieder zurück in seine Heimat eingeladen werden kann. Der Aufbauhelfer mit dem Einladungswunsch für Wolf Biermann beinhaltet aus meiner Sicht eine sehr starke Symbolik und zeigt, in welchen Facetten sich der Wunsch nach Freiheit äußern kann. Reisefreiheit bedeutete im Fall Biermann nicht nur die Freiheit von Ost nach West, sondern auch von West nach Ost reisen zu dürfen.
Text und Foto: Thomas Lauxen
Gehen „ins kapitalistische Ausland” war verboten.
Die Frage „gehen oder bleiben” hat Wolf Biermann so formuliert:
„Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier”
(Methaper für zerrissene Biographien in dem zerrissenen Land).
Auch für unser Schulsystem in der Sowjetunion galt:
Kinder mit Normabweichungen, Lernbehinderte, Andersdenkende,
Stotter, waren „einer Hölle ausgesetzt”.
Individuelle, Sprachliche, religiöse Normabweichler
waren kollektiver Ablehnung ausgesetzt und die mussten das
aushalten.
Positive Erinnerungen an die DDR:
Man konnte sich auf Nachbarn und Freunde verlassen, was nicht
mehr der Fall ist, da jeder nur an sich denkt. Beruflicher Stress
war weniger.
Negative Erinnerungen an die DDR:
Wenn man die Zeitung aufmachte, da war von Erfolgen
und Planerfülung zu lesen und jeder wusste, dass das nicht stimmte.
Es gab keine Aufstiegschancen, ohne in der Partei zu sein.
/aus einer Meinungsbefragung des Emnid-Instituts, 1995;
„Geschichte und Geschehen”, Klett Verlag/
Opa ist Kritiker des früheren politischen Systems. Aus seiner Sicht fehlten in der DDR demokratische Merkmale:
_ Nicht alle Rockbands wurden auf einem Konzert zugelassen.
Manche erhielten Auftrittsverbot.
_ Es gab keine Konkurrenz zwischen den Parteien. Es gab
verschiedene Parteien in der DDR, tatsächlich war sie
Einparteiensystem.
_ Eine parlamentarische Opposition gab es nicht.
_ Es gab nur ein Modell der Gesellschaftsform und der Denkform
und wir sind jede was anderes!!!
_ Das Schlimmste: Im Namen der Gemeinschaft wird die
Persönlichkeit (das Individuum) zerstört.