Pirimze Dressler – Stimme aus der Vergangenheit
Dieser Bericht stammt von unserer DaZ-Lehrerin Frau Pirimze Dressler, die in der sowjetischen Kaukasusrepublik Georgien im kommunistischen System groß wurde. Sie wuchs unter so völlig anderen politischen Bedingungen auf, wie Ihr es Euch vielleicht gar nicht vorstellen könnt. Darum ist dieser Bericht für Euch. Begriffe wie Freiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit erhalten so eine ganz andere Bedeutung und sind für Frau Dressler nicht selbstverständlich. Das sollte uns lehren, weiter für diese Werte einzustehen.
Foto: Ich schulde den wunderbaren Lehrern Dank, die mich auf meinem Schulweg von 1977 bis 1988 begleitet haben. Dabei sind auch meine Eltern: Tebrone Gogolauri (links oben neben dem Schild) und Nikolos Khutsurali (ganz rechts neben dem uniformierten Wehrunterricht-Lehrer). Wir alle haben an das sozialistische System geglaubt.
Kindheit unter Führung der Arbeiterklasse
Es gibt eine Einheitsschule. Die Schulpflicht dauert elf Jahre. Jedes Kind ist sozial abgesichert.
Alle Kinder sind gleich, so zumindest der Idee nach. Selbstständiges Denken und Handeln wird wenig gefördert.
Eine Schulpflicht besteht ab der ersten Klasse, das Einstufungsalter beträgt sieben Jahre.
Das Notensystem:
5: Leistungen sind hervorragend
4: Leistungen sind nicht super, aber richtig gut
3: Leistungen sind durchschnittlich
2: Man muss das Schuljahr wiederholen.
Viele Spielsachen hatten wir nicht. Schon früh sollten die Kinder im Sinne der kommunistischen Ideologie erzogen werden, damit sie sich vollständig mit dem Staat identifizieren.
Im Dienste der „großen Idee“
Jugendorganisation Pioniere (für Kinder 10–15 Jahre)
Der richtige Pionier hält das Versprechen, lernt gut, arbeitet gut. Er schützt die Heimat; Ist gesellschaftlich nützlich. Egoismus und Raffgier sind nicht so schön. Dabei werden zahlreiche Aktivitäten wie Spiele und Sport gepflegt.
Man hofft, dass es dadurch allen gut geht.
Das große „WIR“ – die kommunistische Jugendorganisation „Komsomol“
Ziele:
- gewissenhafte, ehrliche, gesellschaftlich nützliche Arbeit
- die gesellschaftlichen Interessen über die persönlichen stellen
- im persönlichen Leben Vorbild sein
- freiwillige Arbeitseinsätze an Samstagen zum Wohl der sozialistischen Gesellschaft
„Wir sind gegen Herzlosigkeit und Rücksichtslosigkeit in menschlichen Beziehungen.” (eines der Mottos von Komsomol)
Die Aufnahme in Jugendorganisation „Komsomol“ erfolgt nach einer Prüfung.
Die Namen Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg musste man schon kennen.
In der These war die Sowjetunion verpflichtet, alle Schüler seien gleich. An den Universitäten Jena, Dresden, Halle, Leipzig, Karl-Marx-Stadt studierten Töchter und Söhne der oberen Mittelschicht.
Vergöttlichung des Staates und die emotionale Kälte
Es wurde nicht viel über die Religion geredet. Die Psalmen des König David, Maria und Josef, das sind alles nur schöne Märchen. Es gibt Naturgesetze und das war es. Meine Schwester Madonna hat das Evangelium nach Matthäus „entdeckt“, sich ganz intensiv damit beschäftigt und zu Hause wurde Madonna ausgelacht. Lehrerfamilie(!)
In der Klasse 9 und 10 findet Wehrunterricht statt. Wir lernen, wie man Schusswaffen (Kalaschnikow) auseinander- und wieder zusammenbaut.
Welche Vorbilder haben wir denn? Was nehmen wir auf dem Lebensweg mit?
Hier ein Beispiel: Generalfeldmarschall Paulus und der Sohn von Stalin kamen gleichzeitig in die Gefangenschaft. „Wir tauschen die Gefangenen“, sollte die deutsche Seite vorgeschlagen haben. Daraufhin eine Antwort von Stalin: „Den einfachen Soldaten tausche ich nicht gegen den General.“
Geplatzter Traum
Wir alle haben an das System geglaubt. Oft klappt es leider nicht alles so, wie die Idee es eigentlich verlangt.
Kommunismus beschwört die Revolution, Abschaffung des Staates. Deshalb ist er gegen unsere Verfassung.
Text und Bilder von Frau Pirimze Dressler, Frau Dressler, wir danken Ihnen sehr für diesen persönlichen Einblick in Ihr Leben!
Sehr geehrte Frau Dressler,
danke für diesen spannenden Bericht. Schade, dass die Ideale des Kommunismus meist nur auf dem Papier standen, jedoch die Nomenklatura – und da liegt die Parallele zum Kapitalismus – eben ihre Komfortzonen hatte. Wir zerlegten eben keine Kalaschnikow in der Schule, sondern erst später, als Wehrpflichtige, das G3 von Heckler & Koch. Auch wir glaubten an unser System und feierten unser System, den American Way of Life, wie die Israeliten das Goldene Kalb beim Auszug aus Ägypten. Gelacht wurde bei uns aber eher sehr viel und auch heute noch – vor allem aus Schadenfreude über Schwächere.
Ich denke, dass wir von Ihrer Jugendzeit sehr viel lernen könnten und alle großen- ISMEN der Welt nur dazu dienen, die Menschheitsfamilie zu trennen.
Auch hier galt und gilt immer noch,: ” Teile und herrsche.” Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs.
Reimund Berg, Malberg