Es ist das Jahr 1945. Deutschland liegt in Schutt und Asche, 6,3 Millionen Tote. Der Zweite Weltkrieg ist beendet. Einerseits Erleichterung. Aber die meisten Menschen stehen vor dem Nichts. Im November vor genau 75 Jahren begannen die Nürnberger Prozesse, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir die Erinnerungen eines Zeitzeugen an die letzten Kriegsjahre. Zudem gratulieren wir ganz herzlich: Unser Zeitzeuge feierte nämlich vor Kurzem seinen 89. Geburtstag.
Auf zur Zeitreise:
Helmut Stecker (damals 13 Jahre) berichtet:
Zirka drei Wochen, bevor die Amerikaner Horn einnahmen, mussten sich alle Jungen, die 15 Jahre alt waren, melden. Sie sollten von Soldaten in Fußmärschen hinter die Weser geführt werden, um nicht den Amerikanern in die Hände zu fallen. Unser Lehrling Wilfried Schlüter und andere verschwanden im Wald vor Barntrup und schlichen sich abseits der Straßen wieder nach Hause und versteckten sich.
Bevor mein Vater 1939 Soldat wurde, hatte er noch Herbert Kleinschlömer aus Schlangen als Lehrling eingestellt. Heinrich Winnefeld war bei uns als Meister, wurde dann aber auch Soldat. Herbert machte eine Not-Gesellenprüfung, wurde auch Soldat und kam nach Italien. Als die Amerikaner dort landeten, wollte er nicht in Gefangenschaft. Also trennte er sich von seiner Uniform und besorgte sich Zivilkleidung und ein Fahrrad mit einem Spaten daran und fuhr so in vielen Tagesetappen unbehelligt nach Hause. Nach kurzer Pause wurde er wieder bei uns eingestellt. Einige Wochen später mussten alle jungen Männer zu einer Kontrolle. In seinen Wehrpass bekam er den Stempel „Deserteur”.
Wir hatten einen ausgebauten Luftschutzkeller. Der Keller war tief und darüber waren zwei Betondecken. Zusätzlich war dieser Raum mit Hölzern gesichert. Das waren senkrechte Stämme und oben Balken in engem Abstand. Diese waren mit Eisen verstärkt, damit sie bei Bombenabwürfen nicht umfielen. Jede Familie aus der Nachbarschaft hatte sich eine Ecke „gemütlich” eingerichtet. Bei Voralarm musste ich immer die Haustür aufschließen, weil die Nachbarn kamen.
In den letzten Tagen vor dem Hornschen Kriegsende sah ich eine Gruppe russischer
Kriegsgefangener, die von bewaffneten deutschen Soldaten von West nach Ost durch Horn getrieben wurden. Man gönnte ihnen wohl nicht, schon einige Tage eher befreit zu werden. Diese Gruppe war ein Elendshaufen. Sie waren zerlumpt. Einige mussten gestützt werden, weil sie nicht mehr alleine laufen konnten. Auf dem Marktplatz hatte Christian Geise einen Wagen mit Steckrüben stehen, von dem sich jeder Russe einen nehmen durfte. Diese Episode hat mich damals sehr bedrückt.
Mein Vater sollte mit den Hornschen Volkssturm die Externsteine verteidigen. Kurz vor den Amerikanern kam eine SS-Einheit. Deren Offizier schickte den Volkssturm nach Hause mit der Bemerkung: „Wenn die Amis euch sehen, können sie vor Lachen nicht schießen”. Die Amerikaner kamen aber nicht wie gedacht über die Kleine Egge, sondern über den Holzhauser Berg nach Horn. Die Panzersperre an der Kleinen Egge und die Verteidigungsanlagen am Markenberg und auf dem Knickenhagen waren umsonst errichtet worden.
Horn wurde von einer Kompanie Infanterie verteidigt. Es war ein verlustreicher Kampf. Die deutschen Toten bleiben noch einige Tage in den Straßen liegen. Die Amis nahmen ihre gleich mit.
Zwei Häuser wurden in Brand geschossen: Pumpen-Busch, Herrstraße, und unser Nachbarhaus Lange. Während es brannte, kam Opa Lange, der als einziger im Hause geblieben war, in unser Haus gerannt, um Hilfe zu holen. Eine junge Frau bei uns im Keller dachte, es wären die Amis und sie würde nun vergewaltigt. Sie versteckte sich im hinteren Keller. Als nicht mehr geschossen wurde, versuchten wir den Brand zu löschen. Doch Langes Haus brannte restlos ab.
Als sich alles beruhigt hatte, sagte meine Mutter: „Gott sei Dank. Der Krieg ist für uns vorbei!” und wischte das Treppenhaus von oben nach unten. Als sie fertig war, kam ein Trupp Amerikaner und besetzte unser Haus. Wir mussten in fünf Minuten raus sein. In der Aufregung nahmen wir Sachen mit, die völlig unwichtig waren. Meine Schwester nahm Klaviernoten mit und meine Mutter eine zerbrochene Brotschale. Im Haus Geise am Marktplatz war die Wohnung vom Leiter der Spar- und Darlehenkasse Diekewied leer. Herr Diekewied war Soldat und seine Familie war bei Verwandten. Hier kamen wir unter. Wir schliefen auf dem nackten Fußboden. Meine Mutter ging täglich zweimal in unser Haus und versorgte das Vieh. Nach einigen Tagen kam sie aufgeregt zurück und rief: „Sie sind weg!” Wir gingen sofort zurück und fanden ein großes Durcheinander vor. Alle Schubladen waren herausgerissen und der Inhalt lag mitten im Zimmer. Alle mitnehmbaren Wertsachen fehlten. Den beiden Hähnen hatten die Amis die Schwänze abgeschnitten. Auf dem Werkstatttisch waren mit hunderten von Gurtnägeln die Buchstaben „USA” genagelt. Auf dem Schreibtisch lag noch unsere Post, die noch alle mit „Heil Hitler” unterschrieben war. Die Amis hatten überall Hitler durchgestrichen und dafür Roosevelt geschrieben.
Heinz Thies, meine Schwester Irmgard und ich hatten jeden Samstagnachmittag Klavierunterricht bei Kirchenmusikdirektor Otto Müller-Daube. Als wir noch kein Klavier hatten, fand der Unterricht bei Thies auf dem Saale statt. Kurz vor Ende des Kriegs brachte Müller-Dube zwei wervolle Geigen zu uns. Er meinte, bei zu erwartenden Kriegshandlungen wären sie in Horn sicherer als bei ihm in Detmold. Das war ein Irrtum Horn wurde verteidigt, Detmold nicht. Als die Amis unser Haus besetzten, brachen sie die stabilen Geigenkästen auf und spielten gekonnt Geige. Als wir unser Haus verlassen mussten, hörten wir im Wohnzimmer Klavier, Geige und Gesang. Sie spielten und sangen den deutschen Schlager „Lili Marleen”. Dieser Schlager war, wie ich später las, bei den Amis sehr beliebt (und hatte auch einen englischen Text bekommen, den Marlene Dietrich schon 1942 im Radio sang). Im deutschen Soldatensender Belgrad sang Lale Anderson jeden Abend um 22 Uhr zum Abschluss des Tagesprogramms dieses Lied. Der Sender war in ganz Europa zu empfangen. (Lale Anderson hatte nach Abschluss ihrer Karriere auf Langeoog ein Café, das sie natürlich „Lili Marleen” nannte.)
Einige Tage nach der Einnahme von Horn und Lippe durch die Amerikaner kam Bauer Beins aus Hornoldendorf mit seinem Planwagen zu uns und brachte den Wagen voll Lederriemen. Diese waren vom Deutschen Militär bei ihm eingelagert worden. Er meinte, wir könnten die Riemen wohl gut in der Sattlerei verwerten. An allen Riemenspitzen waren Hakenkreuze eingeprägt. Von uns fuhr er weiter nach Rischenau, um seinen toten Sohn zu holen, der dort bei den Kampfhandlungen erschossen worden war. Am Bahnhof in Horn stand ein Güterzug. Dieser war von freigekommenen russichen Kriegsgefangenen aufgebrochen und geplündert worden. Wir Jungen beteiligten uns ebenfalls an der Plünderung. Ich brachte jede Menge Zirkel, die wir heute noch benutzen, mit nach Hause.
In der alten Schule hatte die Organisation Todt ein Depot eingerichtet. Von dort holte ich Massen an Uniformknöpfen, die wir in der Polsterei verwerten konnten. In der Möbelfabrik Brand in Leopoldstal war ein großes Lager mit Nähmaschienen, Autoplanen mit Tarnaufdruck und Leinen. Das alles ließ der erste Nachkriegsbürgermeister, August Tölle, zu uns schaffen. Mein Vater musste an seine Kollegen Reuter, Felbrich und Stecker alles verteilen. Von der Plane nähte ich mir mein erstes Zelt. Das Rohleinen brachten wir zum Färben zum Blaufärber Kleinsorge in Schwalenberg. In vielen Straßengräben lagen Telefonkabel. Die von den Amis waren dünner und geschmeidiger. Wir holten uns viele hundert Meter und verarbeiten sie zum Schnüren der Taillenfedern in unserer Polsterei.
Wir Jungen streiften durch Wald und Feld. Überall lagen weggeworfene Uniformen, Waffen und Panzerfäuste. Auf dem Püngelsberg und hinterm Knickenhagen standen Flugabwehrgeschütze. Die interessierten uns besonders, weil sie noch drehbar waren. Das Hantieren mit Munition war gefährlich. Fritz Schönlau aus dem Schafstall und Redecker aus der Helle waren ungefähr so alt wie ich (13 Jahre). Sie spielten mit Munition. Dabei kam es zu einer Explosion. Schönlau wurde schwer verletzt und Redecker starb.
Soweit die Erinnerungen von Helmut Stecker, aufgeschrieben von Armin Lepage, 9a
Text: Armin Lepage, 9a
Fotos: privat
Liebe Frau Stecker,
es ist immer schwer, einen geliebten Menschen zu verlieren,
aber wohl ganz besonders _ den eigenen Vater.
Zu den Konstanten, die alle Menschen miteinander verbinden,
gehört die Schmerzerfahrung. Schmerz und Trauer begleiten
jeden Menschen von der Wiege bis zum Grab.
Wir haben im Unterricht oft über das Thema Leben und Tod gesprochen. Tod ist der notwendige Ausgang des Lebens.
Jeder von uns ist der Natur einen Tod schulde. Tod ist natürlich,
unableugbar, unvermeidlich und wird in jeder Kultur als
besonderes Ergeinis erfahren.
Unsere Gedanken sind bei Ihnen, liebe Frau Stecker.
Die deutsch-georgische Freundschaft, die wir heute kennen
und lieben, ist Verdienst der älteren Generation.
Geboren bin ich im November 1945, also etwa ein halbes Jahr nach Kriegsende in Geblonz an der Neiße, das heute in Tschechien liegt, damals aber die Heimat vieler Deutschen war, des sogenannten Sudetendeutschen.
Mein Vater war damals bereits in tschechischer Gefangenschaft.
Meine Mutter wurde zu Beginn des Jahres 1946 ausgewiesen. Sie gehörte mit ihren beiden Kindern zu einer Gruppe von Deutschen, die nach dem verlorenen Krieg aus dem Land
vertrieben wurden, in dem sie vorher seit Generationen mit ihren Familien gelebt hatten.
Zusammen mit einer Kiste, in die sie die nötigsten Sachen hatte packen können, wurden sie mit uns zwei Kindern und anderen Deutschen in einen Güterwagon verfrachtet und Richtung Westen bis zur Grenze der russisch besetzten Zone Deutschlands gebracht.
Meine Mutter, die eine sehr schöne Sopranstimme hatte,
und sich auch immer allen Kummer und Sorgen
von der Seele singen konnte, tat das auch zu Beginn dieser unfreiwilliger Reise. Auf ihre Kiste sitzend sang sie ein Lied mit dem Titel „Heimatland” und trieb damit allen mitreisenden
Tränen in die Augen.
Ich hatte großes Glück, dass ich diese Fahrt überhaupt überstanden habe, nicht zuletzt wohl deshalb, weil meine Mutter mich über 24 Stunden in den Armen gehalten hatte.
Die Zugfahrt endete in einem Dorf in Thüringen, in der damals von Russen besetzten Zone, aus der später dann die DDR wurde.
Meine Mutter fand als Letzte von allen Leuten, die dort einquartiert werden mussten, schließlich Unterkunft
mit uns beiden Kindern in einer eiskalten Kammer, die mit einem kleinen Offen beheizt werden konnte, wenn man Holz bekam.
Nachts gefror das Wasser im Eimer bis zum Grund.
Nur weil wir alle zusammen in einem Bett geschlafen haben,
konnten wir die Kälte trotzen.
Meine Mutter hatte das Glück, dort liebe Menschen zu finden, die ihr halfen diesen strengen Winter zu überleben.
Es dauerte dann noch etwa 2 Jahre, bis meine Großeltern uns
nach Westdeutschland holen konnten, wo sie als Flüchtlinge in einem altem protestantischem Pfarrhaus eine Wohnung gefunden hatten. Meine ersten eigenen Erinnerungen sind mit diesem Haus verbunden.
Vor 75 Jahren _ Kriegsende in der Westeifel
Vielzahl von Luftangriffen der alliierten Bomber zerstörte
die Städtchen in der West- und der Südeifel, aber auch St. Vith.
Die über Sauer und Our zurückgehenden Resttruppenteile der Wehrmacht vermochten es nicht mehr,
eine Verteidigung an der Reichsgrenze aufzubauen.
Zunächst griffen die US-Divisionen aus Südost-Belgien
gegen die Schneifel an.
Die Hochwasser führenden Flüsse Our und Sauer
waren zu überwinden.
Nach der Überquerung der Sauer bei Weilerbach
konnten US-Divisionen rasch auf Bitburg vorstoßen. Sie eroberten ein Trümmerfeld.
Die aus Glervaux herangeführte US-Division konnte die Our
über eine leichte Pontonbrücke überqueren
und das zerstörte Dasburg einnehmen.
Am 24 Februar wurde Daleiden erreicht, damals Sitz der Amtsverwaltung. Als Symbol der Inbesitznahme
hisste ein US-Soldat an diesem Gebäude die US-Flagge
und die Militärregierung richtete hier
die erste Verwaltungsstelle auf deutschem Boden ein.
Westlicher Mann fühlt sich der Erinnerungskultur Verpflichtet!
Deshalb sollte an die Tage der Besatzung erinnert werden,
an die Zeit, für die es nur noch wenige Zeitzeugen gibt.
Die Ardennenoffensive, die letzte Offensive der Wehrmacht,
die wurde aus der Eifel geführt im Dezember 1944.
Ich bin ein ehemaliger britischer Soldat und lebe jetzt in Remmighausen. Ich habe großes Interesse am Ende des Zweiten Weltkriegs und möchte unbedingt die Berichte der Menschen aus dieser Zeit lesen. Gibt es noch etwas Ähnliches?
In unserer Wohnung hatten wir keine Heizung, sondern nur einen Kohlenherd in der Küche, auf dem gekocht wurde. Die anderen Räume waren nicht beheizt. Nur am Heiligabend (24. 12.) wurde noch im Wohnzimmer der Ofen angemacht. Mit meiner Mutter habe ich im Wald Reisig (kleine trockene Äste) und Holz gesammelt. Außerdem haben wir fleißig Bucheckern aufgehoben. Diese wurden zu einer Ölmühle gebracht denn andere Speiseöle waren knapp. Aus den gesammelten Waldbeeren (Heidelbeeren), Him- und Brombeeren kochte meine Mutter Marmelade.
In der damaligen Zeit wurde möglichst nichts weggeworfen; keine Lebensmittel und auch keine Kleidung, die immer wieder ausgebessert und gestopft wurde. Manchmal konnte man sagen: Loch an Loch und hält doch.
Die Jungen trugen damals eine kurze Lederhose. Diese war zwar teuer, aber eine Anschaffung fürs leben. Sie wurde vererbt: vom älteren Bruder an den jüngeren usw. Am Runterrutschen wurde sie von Hosenträgern gehindert. Der Junge musste ja „reinwachsen”. Der Vorteil dieser Hose war, dass sie nicht gewaschen und ausgebessert werden musste.
Auch spürten die Jungen nicht so stark die Stockhiebe des Lehrers wenn sie bestraft wurden. Mein Grundschullehrer hat ein einziges Mal einem Jungen den „Hintern versohlt”, weil er etwas gestohlen hatte. Die Prügelstrafe in den Schulen wurde erst 1966 oder 1967 in Nordrhein-Westfallen verboten. Die sonstigen Strafen bestanden aus: in der Ecke stehen, zusätzliche Hausaufgaben, Nachsitzen mit Zusatzaufgaben, Klassenraum aufräumen usw.
Historischer Hintergrund: Am 8. Mai war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Waffen schweigen. Man nennt diesen Tag auch „Stunde Null”. Die Sieger waren die USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich.
Wie auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 beschlossen, wird Deutschland in 4 Besatzungszonen aufgeteilt. Als Amtssprache gilt die Sprache jeweiligen Besatzungsmacht.
Die Menschen lebten wirklich in Trümmern.
Die Ruinen verschwinden in einem Jahrzehnt. Ein amerikanisches Reisebüro empfiehlt 1958 den Kunden: „Beeilt euch Deutschland zu besuchen, sonst werdet ihr keine Ruinen mehr sehen”.
Leider gab es in unserer Familie eine traurige Geschichte zum Kriegsende.
Mein Vater war bis 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Meine Mutter war mit der gemeinsamen Tochter Susanne in Rommersheim bei ihren Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder, weil sie nicht alleine in Prüm, in der kleinen Wohnung sein wollte.
Bei einem Bombenangriff ging meine Mutter bei Alarm mit der Oma und dem Opa in den Schutzkeller gegenüber. Die beiden Tanten gingen mit der kleinen 4‑Jährigen Nichte nach. Aber die kleine Sussane wollte unbedingt noch eine Pupe holen.
Als die drei dann endlich in den Schutzkeller wollten, detonierte in dem Moment eine Bombe nach der anderen in der Nähe. Beide Tanten verloren 1 Auge und die kleine Susanne verlor auf beiden Augen das Augenlicht, war also blind.
Die beiden Tanten und die kleine Susanne kamen nach Bad-Neuenahr ins Lazarett, dort ist Susanne 2 Tage später verstorben.
Als mein Vater 2 Monaten später nach Hause kam, war er auch verwundet. Die Familie hat alles dafür gemacht, um die kleine Susanne nach Rommersheim zu holen. Und dort wurde sie beigesetzt.
1948 kamen noch eine Tochter, 1949 und 1951 noch zwei Mädchen, 1952 mein Bruder und 1956 noch eine Tochter auf die Welt.
Ganz oft haben meine Eltern gesagt, auch wenn man noch zehn Kinder bekommen würde, das erste Kind (das verlorene Kind)
kann man nie vergessen.
Es gab solange die Eltern gelebt haben, immer ein Gedenken an dem Geburtstag und an dem Todestag.
Krieg bringt immer Elend für alle Menschen.
Mein Vater Edmund Mühlau ist 1927 in Danzig geboren und aufgewachsen. Zu der Zeit gehörte Danzig zu Deutschland, heute heißt die Stadt Gdausk und liegt in Polen.
Als Jugendlicher musste er schon in den Krieg ziehen und sich nach Kriegsende allein mit 18 Jahren in den Westen ausschlagen, während seine Mutter aus Danzig vertrieben wurde und nach Magdeburg geflohen ist.
Mein Vater hat so viel schlimmes erlebt, dass er nie gerne darüber gesprochen hat.
Seine Heimat hat er bis zu seinem Tod vermisst.
„Der Schokoladenonkel”
/nach dem Lehrbuch „Basiswissen Deutschland”/
„Im Sommer 1948 war ich 10 Jahre alt, also ein kleines Mädchen. Ich und meine Mutter wohnten damals bei meiner Tante in Hermesdorf, einem Stadtteil von Berlin. Unser eigenes Haus in Scharlottenburg wurde durch Bomben zerstört. In unserer Straße blieb nur ein einziges Haus stehen. Ja, ein einziges Haus.
Meine Mutter und die Tante mussten jeden Tag in die Arbeit. Sie mussten die Trümmer der kaputten Häusern wegräumen. Stein für Stein. Alle Frauen zwischen 15 und 50 Jahren mussten das machen.
Ich war den ganzen Tage lang in der Schule. Ich bin gern dorthin gegangen, denn dort gab es jeden Tag ein warmes Essen. Zu Hause konnten wir nur zu bestimmten Zeiten kochen. Die Energie war zu knapp, weil die Grenze zu den Westzonen geschlossen war. Niemand konnte über die Grenze fahren.
Alles, was wir brauchten, auch Kohlen und das Essen, wurde nach Berlin mit Flugzeugen aus Westdeutschland gebracht.
Die Flugzeuge, die das Essen brachten, flogen über unser Haus und unseren Garten.
Dort gab es ein besonderes Flugzeug, das Süßigkeiten und Schokoladen abgeworfen hat. Ich hab leider nie was bekommen und Schokolade gab es nur auf dem Schwarzmarkt.
Ich habe mich einfach hingesetzt und an den Piloten einen Brief geschrieben:
„Lieber Schokoladenonkel, kannst du nicht mal eine Schokolade über unserem garten abwerfen?”
Ich habe ihm genau beschrieben, wie unser Garten aussieht und dass es dort weiße Hühner gibt.
Dann hab ich jeden Tag im Garten nach den Schokoladen gesucht.”
Erinnerungskultur und Vergangenheitsaufarbeitung
Helmut Stecker berichtet über seine Zeit. Dienstpflicht, Tod und Überleben, in Trümmern liegende Alltagswelt – hat er miterlebt. Es gab nicht viel, woran man sich festhalten konnte.
Das Ende des Krieges war zugleich der Beginn des neuen Zeitalters. Alles musste von vorne, wieder von Null aufgebaut werden. Die Nachkriegszeit war vom Wiederaufbau der Städte und Dörfer geprägt und darauf darf die Generation von Helmut Stecker zu recht stolz sein.
Heute gibt es noch weltweit direkte Widerspiegelung der gesellschaftlichen Realität von 1945: Kälte und Hunger, Kriege, Umweltzerstörung. Und die Welt schaut mit Hoffnung auf das Heimatland von Helmut Stecker.
Wollen wir hoffen, so etwas nicht mehr zu erleben!
Frieda, geboren 1948 in Ahrweiler erzählt:
Die Amerikaner haben Milchpulver an einem Hausarzt für seine Patienten gegeben. Der Hausarzt hat diese Milchpulver
meiner Mutter gegeben
und damit habe ich überlebt.
Agnes, geboren 1925
1944, im Herbst vor Kriegsende ging es den Leuten hier sehr schlecht. Durch die ständige Bombardierung konnte die Ernte nicht ganz eingefahren werden und auch die Kartoffel konnten nicht geerntet werden.
Die amerikanischen Soldaten gingen von Haus zu Haus und trieben alle Leute, die nicht inzwischen geflüchtet waren,
zusammen. Dann wurden alle registriert und auf verschiedene Häuser verteilt, wo sie bleiben mussten.
Morgens und abends durften die Leute, die Vieh hatten nach Hause, um zu melken und das Vieh zu versorgen.
Als die Amerikaner hier abzogen,
wurden wir französische Besatzungszone. Da wurde es ganz schlimm. Wir konnten zwar zurück in unsere Häuser,
aber vieles war durch Bomben zerstört und wir waren bettelarm.
Trotzdem verlangten die Franzosen, dass wir ihnen Lebensmittel und Vieh abgeben mussten, obwohl wir selbst kaum etwas hatten.
Es gab Suppe aus Gerstenschrott und wir hatten Milch und Butter und konnten Brot backen.
Es gab weder Salz noch Zucker, aber alle halfen sich gegenseitig, um die schwierige Zeit zu überleben.
Matthias, geboren 1929
Ich war an dem Tag, als die Amerikaner kamen, bei meinem Opa. Frauen und Kinder waren in den Harz geflüchtet.
Opa und ich waren zu Hause geblieben, um das Vieh zu versorgen.
An diesem Tag hörten wir aus der Ferne Geräusche,
die uns unbekannt waren. Um besser sehen zu können, kletterte ich In der Scheune zum Fenster hoch und sah
„ein schwarzes Meer” an Soldaten auf der Anhöhe. Opa und ich wurden sofort mitgenommen, durften nicht mehr ins Haus und konnten noch nicht mal etwas zu Anziehen mitnehmen.
Aus allen anderen Häusern wurden ebenfalls die Leute zusammengetrieben.
Der ganze Tross unter bewaffneter Begleitung der amerikanischen Soldaten musste zu Fuß in den Nachbarort gehen.
Dort wurden alle Personen registriert und einige Tage festgehalten.
Danach durften aber alle wieder zurück in ihre Häuser.
Inge, geboren 1935
Im Herbst 1944 und zu Beginn des Jahres 1945 wurde meine Heimat stark bombardiert.
Nachts schliefen wir und viele Leute aus unserer Straße zur Sicherheit immer im Keller der Schule, die in unserer Nachbarschaft war.
Tagsüber wurde die Arbeit in der Landwirtschaft und mit Vieh gemacht.
As die amerikanischen Soldaten kamen, wurden alle aus den Kellern und Häusern zusammengetrieben und in eine Gaststätte
gebracht. Betten gab es kaum. Um nicht auf dem Boden zu schlafen, haben wir mit 4 Personen in einem Bett gelegen.
Meine Familie hatte Glück. Da die Schreibstube der Amerikaner in unserem Haus war, durften wir eher in unser haus zurück.
Ganz schrecklich für mich war:
als wir im Geleitzug durch das Dorf getrieben wurden, mussten wir an den deutschen Soldaten, die festgenommen waren, vorbei. Sie wurden von schwer bewaffneten Soldaten bewacht und anschließend in Gefangenschaft gebracht.
Es gab eine große Wohnungsnot. Ich kann mich daran erinnern, dass Kino aufgeräumt worden ist und in dem großen Raum Leinen gespannt waren, an denen Decken aufgehängt waren. Zwischen diesen Decken haben Familien „gehaust”.
Meine Eltern und ich waren in einem Einfamilienhaus untergebracht. Es wohnten dort im Erdgeschoss die Eigentümerin mit ihrem erwachsenen Sohn, in der ersten Etage meine Eltern und ich, auf dem Dachboden eine Familie aus Schlesien mit 5 oder 6 Kindern. Im ganzen Haus gab es nur ein Badezimmer.
Lebensmittel waren knapp. Die Art und Menge wurde zugeteilt. Meine Schwiegermutter hat mir erzählt, dass mein Mann als kleiner Junge aus seinem Bettchen geklettert ist und hat die letzte Scheibe Brot, die Familie noch hatte, aufgegessen hat. Das Brot sollte sein Vater am nächsten Tag mit zu seiner zehnstündiger Arbeit in einer Drahtzieherei nehmen.
Mein Vater fuhr oft zum „Hamstern”. Das bedeutet, dass er mit Bauern Schmuck oder ähnliches gegen Kartoffeln, Eier, Mehl usw. getauscht hat. Manchmal durfte ich mit ihm fahren. Dann mussten wir erst an einem Panzer vorbei und dann durch den Wald radeln. Einmal hatte ich ganz großes Glück. Eine Bäuerin bereitete gerade eine Butterkremtorte vor. Ich durfte mich mit ihren Kindern in eine Reihe stellen und den Mund aufmachen. Jede bekam einen Tupfen Butterkrem auf die Zunge gespritzt.
Wir waren auch nicht modisch gekleidet. Ich kann mich mit Grausen an meinen grünen Anzug erinnern, die aus einer Uniform genäht worden ist. Meine Oberschenkel wurden davon ganz wund und wurden abends mit Borsalbe eingeschmiert, die furchtbar brannte. Eine Tante schickte Pakete mit abgelegter Kleidung ihrer beiden Kinder, die dann für mich geändert wurde.
Die Befragten waren damals Kinder. Mit den Erinnerungen kamen auch Tränen.
Hildegard, geboren 1950 erzählt:
Wir sollten uns heute nicht viel beklagen wegen der Krise. Das ist nicht die erste Krise, die die Welt kennt.
Mein Vater war bei der Marine auf einem U‑Boot von Norwegen.
Als er nach Hause ankam, waren seine Eltern, also meine Großeltern auf dem Feld. Er lief sofort dorthin. Aber er hat seinen Vater nicht erkannt. So abgemagert sei der gewesen.
Maria, geboren 1939
Als die Front immer näher rückte
und wir unter Artilleriebeschuss gerieten, wurde der Keller so hergerichtet und Platz geschaffen, dass wir dort mit 6 Personen schlafen konnten. Da es aber Winter war, wurde es kalt und feucht.
Auf den Dampflokomotiven wurden Kohlen gestohlen, damit man im kalten Winter etwas zum Heizen hatte.
Da stellte das Kloster in unserem Ort den Familien die leer stehenden Zimmer zur Verfügung.
Mein Vater und meine Tante gingen täglich morgens und abends das Vieh versorgen.
Von den Bomben wurde die Brücke zerstört und ebenfalls die Bahngleise.
Nach Kriegsende durften alle zurück in ihre Häuser, soweit diese noch bewohnbar waren.
Man begann alles provisorisch zu flicken und wieder herzurichten.
Wir hatten eine kleine Landwirtschaft, so dass wir keinen Hunger leiden mussten.
Eines Tages wollte mein Vater aufs Feld, um nach dem Getreide zu schauen. Meine Mutter warnte ihn, vorsichtig zu sein, da überall noch Minen und Granaten herumlagen.
„Weiberquatsch”, sagte damals der Vater.
Meine Mutter hatte einen guten Grund: Vorher hatten 2 Jungen aus unserer Nachbarschaft beim Spielen schon Granaten gefunden und einer kam zu Tode.
Auch mein Vater erlitt ein ähnliches Schicksal. Er trat auf eine Granate. Damit konnte er nicht mehr viel in der Landwirtschaft arbeiten und wir waren oft auf Nachbarschaftshilfe angewiesen.
In vielen Dörfern hier, in der Eifel geschahen nach dem Krieg ähnliche Unfälle mit Granaten: Finger oder Arm abgerissen, auch Todesfälle.
Sophie, geboren 1937
Auf unserem Bahnhof stand noch ein alleingelassener Güterzug mit Munition und Tankwagen.
Unsere Gegend wurde täglich bombardiert und nachts haben wir zur Sicherheit im Keller geschlafen.
Am 15 Januar 1945 erfuhr einer der Soldaten, dass um 11 Uhr der Bahnhof und der Zug bombardiert würde.
Doch die Bomben kamen viel früher, als angegeben war und die Leute befanden sich noch nicht im Keller.
Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall, als die ersten Bomben unser Nachbarhaus trafen.
Durch den Luftdruck platzten unsere Fenster und flogen mit Schutt und Staub in die Stube. Auch das Kreuz fiel von der Wand. Einer der Soldaten drückte mir das Kreuz in die Hand und sagte: „ Halte es gut fest.”
Im Februar besetzten Amerikaner unser Dorf.
Mein Onkel brachte uns Stroh von zu Hause mit, denn es war Winter und bitter kalt.
Die amerikanischen Soldaten gaben uns ihre Pferdedecken, die aber oft voll Läuse und Flohe waren. Aber sie wärmten uns.